Die Spannung zwischen alltäglicher erlebter Unterdrückung und dem Bedürfnis nach einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz trug wesentlich mit zur Entwicklung des "Theater der Unterdrückten" durch Augusto Boal bei.
Im Forumstheater, einer Methode aus dem Spektrum des Theater der Unterdrückten werden Gewalterfahrung und Diskriminierung aufgegriffen und in Szenen dargestellt um gemeinsam nach befreienden Handlungsalternativen zu suchen. Dabei wird das Verhältnis von Spielern und Zuschauern aufgehoben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind nicht länger auf ihre Plätze verbannt, sondern können als "Zu-Schauspieler" in die jeweils dargestellte Szene eingreifen.
Ausgangspunkt des Forumstheaters sind konkrete Erlebnisse aus dem Alltag. Diese Erlebnisse provozieren die Frage nach den eigenen Handlungsweisen sowie nach Alternativen hierzu. als Spielszenen eigenen sich jedoch auch Ängste vor bestimmten Situationen oder Personen, oder auch einfache Geschichten, die hier in ihrer Aussage verändert und demaskiert werden können.
Die Bühne wird dabei zu einem Ort, wo das ansonsten unausgesprochene und unsichtbare deutlich wird, wo experimentiert und für den Alltag geprobt werden kann.
Vorgehensweise
- Nachdem Thema und Spielszene ausgewählt wurden, wird eine Szene so gespielt, wie sie real erlebt wurde.
- Die Szene wird erneut gespielt, das Ende ist jedoch offen für Veränderungen.
- Jede Zuschauerin und jeder Zuschauer kann während des Spiels "stop" rufen. Die Szene wird dann sofort eingefroren und die Zuschauerin bzw. der Zuschauer spielt nun die Szene zuende. Dabei darf nicht jede beliebige Person der Szene ausgetauscht werden, sondern nur die "Unterdrückte".
- Die Szene wird mit dem neuen Ende wieder gespielt und eine andere Person kann wiederum "stop" rufen und die Rolle weiterspielen, bis die Spielleitung die Szene beendet.
- Auf diese Weise werden verschiedene Lösungen erprobt, um herauszufinden welche die angemessenste ist.
- Die verschiedenen Lösungen werden besprochen und auf ihre Anwendbarkeit in der Realität überprüft.
Die Rolle der Spielleitung
Die Spielleiterin bzw. der Spielleiter
- begrüßt die Zuschauer und stellt die Spielregeln vor;
- koordiniert die Szenen- (Themen-)Auswahl;
- stellt die Schauspielerinnen und Schauspieler und ihre Szene vor und entläßt die Mitspielerinnen bzw. Mitspieler wieder aus ihrer Rolle;
- greift die "Stop"-Rufe aus dem Publikum auf und ermuntert zum Mitspielen;
- startet die Szene und bricht sie ab, wenn sie undeutlich wird;
- entläßt die Zuschauer-Mitspieler wieder aus ihrer Rolle;
- leitet die Auswertung, faßt zusammen, beendet das Forumstheater.
Vgl. Augusto Boal: Theater der Unterdrückten. Frankfurt/M. 1979.
Ruping, Bernd (Hrsg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge des Augusto Boals. Erfahrungen. Varianten. Kritik. Remscheid 1991.
Zeitschrift für befreiende Pädagogik, Nr. 10/1996. Anwendungen des Theater der Unterdrückten.
Der Unterschied zur Therapie Der ganze Prozeß des "Theater der Unterdrückten" (...) ist ein kaleidoskopartiger Spiegel, gebildet aus den Augen der Mitspieler. Das heißt, es gibt nicht die Ausdeutung eines Individuums wie im Psychodrama, besonders im analytischen Psychodrama, das dann auf eine Therapie hinausläuft. Ich gehe zwar im "Theater der Unterdrückten" auch aus von individuellen, besonderen Situationen, aber meine Geschichte zielt hier nicht auf das Besondere, Einzigartige, sondern auf das, was daran generalisierbar ist, aufs Allgemeine. Du hast etwas von mir, und ich erkenne einiges in deiner Geschichte. Sicher habe ich Besonderheiten, aber für uns gewinnen sie allgemein an Bedeutung. Dies Allgemeine hilft uns, Gesellschaft besser zu verstehen. Das ist der Unterschied zwischen der Therapie, die sich um die individuellen Anteile kümmert, und dem Prozeß, den das "Theater der Unterdrückten" darstellt. Es ist möglicherweise therapeutisch, aber niemals Therapie. Augusto Boal in einem Interview mit Bernd Ruping. In: Animation II/12-89. |
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