Kruber: Wirtschaftspolitische Bildung im Lernfeld politische Bildung

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Klaus-Peter Kruber

Der folgende Beitrag geht von einigen heute weitgehend unbestrittenen Annahmen aus:

  • Ökonomische Bildung ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Allgemeinbildung.
  • Ökonomische Bildung ist ein Teil des Lernfelds politische Bildung.
  • Ökonomische Bildung ist weder "Unterricht über die Wirtschaft" im Sinne einer Wirtschaftskunde, noch "reduzierte Wirtschaftswissenschaft" für den Schulgebrauch.
  • Ökonomische Bildung in Schulen zielt auf die Entwicklung von Tüchtigkeit, Selbstbestimmung und Verantwortung bei heranwachsenden Konsumenten, Erwerbstätigen und Wirtschaftsbürgern, beziehungsweise - wie Steinmann besonders treffend formuliert - auf Handlungskompetenz in ökonomisch geprägten Lebenssituationen.
  • Die Vermittlung ökonomischer Bildung erfordert eine exemplarische und handlungsorientierte Unterrichtskonzeption (Steinmann, Weber 1995).
  • Zur Gewinnung und Überprüfung ihrer Aussagen greift die Fachdidaktik auf Bezugswissenschaften, insbesondere auf die Wirtschaftswissenschaft, zurück. Als Bildungswissenschaft knüpft sie an den Lernvoraussetzungen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler an, und sie nutzt die Erkenntnisse der Pädagogik über Lernen und Lehren.

Von fachdidaktischen Kategorien geleitet ...

Die Praxis des Wirtschaftsunterrichts entspricht nicht immer diesen Forderungen. Vor allem die Auswahl und Begründung der Unterrichtsstoffe ist in der Wirtschaftslehre das "eigentliche Problem der Didaktik" (Plöger 1999, 44). Der kategoriale Ansatz der Bildungstheorie ist bestrebt, die für diesen Gegenstandbereich typische "Fülle des Konkreten auf Grundformen, -strukturen, -typen, -beziehungen, kurz: auf ein Gefüge von Kategorien zurückzuführen und deren aktive Aneignung/Entwicklung im Bildungsprozeß mit pädagogischer Unterstützung zu ermöglichen." (Klafki 1993, 96) Kategorien beschreiben allgemeine Strukturen und grundlegende Prinzipien eines Wirklichkeitsbereichs. Gewonnen werden sie durch "Befragung" der Bezugswissenschaften. Ein pragmatischer Ansatz geht z. B. aus von "Grundstrukturen und Prinzipien des Wirtschaftens", wie sie in einleitenden Kapiteln bewährter VWL-Lehrbücher der tiefergehenden Analyse vorangestellt werden. Man kann diese "principles" als Stoffkategorien bezeichnen. Sie haben fünf Funktionen (Dauenhauer 1997, 20):

  • Reduktionsfunktion (inhaltliche Strukturen werden offen gelegt),
  • Erklärungsfunktion (das Verstehen wird erleichtert),
  • Transferfunktion (Möglichkeit der Übertragung auf andere Situationen),
  • Halterungsfunktion (sie sind zwar nicht zeitlos gültig, wohl aber von einer gewissen Dauerhaftigkeit),
  • Sortier- und Behaltensfunktion (Lernhilfen, da im neuen Stoff bekannte Strukturen erkannt werden).

Will man Bildungskategorien gewinnen, reicht die kategoriale Strukturierung des "Stoffes" aus fachlicher Sicht allein nicht aus. "Kategoriale Bildung hat zwei Zielrichtungen: die Offenlegung der Prinzipienstruktur des Stoffes und die Ausbildung von Kategorien beim Subjekt." (Seeber 2001, 55) Der Fachdidaktiker sucht nach grundlegenden, exemplarischen Einsichten über Wirtschaften und nach allgemeinen Merkmalen von Wirtschaft, um Strukturwissen (Stoffkategorien) zu gewinnen. Die Stoffkategorien werden zu Bildungskategorien erweitert, wenn sie in Leitfragen an den Stoff umgewandelt und zur Begründung von Auswahlentscheidungen durch den Lehrer verwendet werden. Ferner sind sie von Nutzen bei der Bestimmung der bei den Schülern anzustrebenden Qualifikationen: Durch das Erkennen und Wiedererkennen der Kategorien in verschiedenen Problemstellungen sollten sie schließlich für die Schüler zu "Denkinstrumenten" für die Erschließung von Realität werden.

Ziel kategorialer ökonomischer Bildung ist es zum einen, ausgehend von den Stoffkategorien der Wirtschaft Orientierungswissen zu vermitteln. Dabei geht es um solche exemplarischen Kenntnisse, die "das Konkrete und Aktuelle aufschließen durch Aufzeigen des Strukturellen, des Typischen, des Prinzipiellen und so aktuelle Geschehnisse und Prozesse verstehbar machen. Sie sollen allgemeine Erkenntnisse und Einsichten am konkreten Fall vermitteln und so den Transfer auf andere Fälle ermöglichen." (Sutor 1984, 69 und 70 f.) Bei der Erarbeitung kategorialer Einsichten sollte sich ferner bei den Schülern über den Unterricht hinweg eine Denkweise entwickeln, die die Edukanden zur Orientierung, Analyse und Urteilsbildung in zukünftigen, in ihrer Konkretheit stets neuen und unterschiedlichen Lebenssituationen befähigen soll.

Auswahl und Ausdifferenzierung von Stoffkategorien sind stets abhängig von der subjektiven Sichtweise eines Autors, und sie sind Gegenstand kritischer Diskussionen in der Fachdidaktik (vgl. Seeber 2001, 42 ff.). Ältere Vorschläge für die kategoriale Erschließung des Wirklichkeitsbereichs Wirtschaft beschränken sich fast ausschließlich auf den mikroökonomischen Bereich, und bei einigen "grundlegenden Merkmalen" kann die kategoriale Bedeutsamkeit hinterfragt werden. Auch eine Autorengruppe des US-amerikanischen National Council on Economic Education um Richard Western verfolgt den kategorialen Ansatz: "There are so many issues that could be studied in economics that the big decision for the lesson writer is what to emphasize. Lessons should draw upon, and highlight, the essence of economics - the essence, not every detail." Das führt die Autoren zur Frage: "What is it that makes economics unique?" (Western 1997, 13) Für Western und seine Mitautoren sind es 9 principles, in denen sich "The Economic Way of Thinking" konkretisiert und die es im Unterricht - für dessen Entwurf die Autorengruppe wertvolle Handreichungen erarbeitet - herauszuarbeiten gilt (Abb. 1):

Abb. 1: The Economic Way of Thinking

  1. Everything has a cost.
  2. People choose for good reasons.
  3. Incentives matter.
  4. People create economic systems to influence choices and incen-tives.
  5. People gain from voluntary trade.
  6. Economic thinking is marginal thinking.
  7. The price of a good or service is affected by people's choices.
  8. Economic actions create secondary effects.
  9. The test of a theory is its ability to predict.

Quelle: Western 1997, 14

 

Diese principles entsprechen weitgehend dem, was ich verschiedentlich als "Grundstrukturen ökonomischen Denkens" bezeichnet und in Stoffkategorien und Leitfragen an den Stoff konkretisiert habe (Kruber 1997, 55 ff., 2000, 285 ff.):

  • Denken in den Strukturen der ökonomischen Verhaltenstheorie (1,2,3,6)
  • Denken in Wirkungszusammenhängen (5,7,8)
  • Denken in ordnungspolitischen Zusammenhängen (4,8).

... Fächergrenzen überschreitend ....

Aber es sind noch weitere Schritte erforderlich, sollen die Schüler zu wirtschaftspolitischem Denken hingeführt werden. Wirtschaftspolitik wird vor allem von Western sehr deutlich angesprochen. Sie tritt als Ordnungs- und Prozesspolitik in Erscheinung. Änderungen der Rahmenordnung und der Einsatz von geld- oder fiskalpolitischen Instrumenten verändern die incentives. Die veränderten Anreize bewirken Verhaltensänderungen bei Konsumenten oder Unternehmern und lösen Wirkungen auf mikro- und makroökonomische Elemente im Wirtschaftskreislauf aus, die der Ökonom analysiert. Die politischen Entscheidungen, die der Gestaltung der Rahmenordnung und den wirtschaftspolitischen Eingriffen zugrunde liegen, werden als Datenänderungen erfasst, aber nicht erklärt. Die Erklärung der Willensbildungsprozesse und ihrer Einflussfaktoren ist nach diesem Ansatz Aufgabe der Politikwissenschaft bzw. auf schulischer Ebene: des Faches Politik. Eine solche Sichtweise widerspricht einer ökonomischen Bildung, die für Lebenssituationen qualifizieren will. Sie muss die Schüler zu ganzheitlichem Denken führen, sie muss dort, wo es das Bildungsziel erfordert, die Grenzen von Fachwissenschaften überschreiten.

Eine solche Abschottung entspricht aber auch nicht dem Stand der volkswirtschaftlichen Theorie, die sich als Erklärungsansatz für sozialwissenschaftliche Fragestellungen versteht. Ausgehend von der ökonomischen Verhaltenstheorie erklärt sie Diskrepanzen zwischen privater Rationalität und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen aus Dilemmastrukturen. Durch geeignetes "Management" von verhaltenslenkenden Anreizen können solche Dilemmata produktiv gestaltet werden. Dieser Ansatz der Institutionenökonomik ist für ökonomische und viele politische und soziale Problemstellungen gleichermaßen fruchtbar und in der VWL verbreitet; von manchen Autoren wird er als Neue Politische Ökonomie bezeichnet (vgl. Homann, Suchanek 2000).

Nationale und zunehmend internationale Wirtschaftspolitik beeinflusst unmittelbar und mittelbar die Lebenssituation jedes Einzelnen und von Gruppen der Gesellschaft, sie ist herausragender Gegenstand politischer Auseinandersetzungen auf staatlicher und intergouvernementaler Ebene. Wirtschaft und Politik sind symbiotisch aufeinander bezogen. Die funktionale Leistungsfähigkeit des einen Systems ist von der des anderen abhängig. Das Lernfeld "Wirtschaftspolitik" liegt im Schnittbereich von Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft und ist Gegenstand beider Disziplinen. Wirtschaftsunterricht, der die Einflussfaktoren auf politische Ziele und Entscheidungen ausblendet, könnte Gefahr laufen, den Eindruck zu vermitteln, dass "richtige" wirtschaftspolitische Konzepte leider meistens an unfähigen oder unwilligen Politikern scheitern. Umgekehrt muss sich Politikunterricht davor hüten, der Vorstellung von der "Machbarkeit" wünschenswerter wirtschaftlicher Ergebnisse Vorschub zu leisten. Und die Frage nach den Zielen von Wirtschaftspolitik und den dahinter stehenden Wertvorstellungen sollte im Bildungsprozess selbst zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht werden.

Der ökonomisch gebildete Bürger sollte (im Idealfall) in der Lage sein, mit Dilemmastrukturen (Entscheidungen unter Restriktionen) umzugehen, wirtschaftspolitische Probleme (z. B. Arbeitslosigkeit oder Inflation) wirtschaftstheoretisch analysieren und die Eignung von wirtschaftspolitischen Konzepten zur Zielerreichung beurteilen zu können. Zieldefinition, Auswahl und Durchsetzung von wirtschaftspolitischen Konzepten erfolgen im politischen Willensbildungsprozess in bestimmten Institutionen, formellen Abläufen und informellen Beziehungen unter dem Einfluss von Interessengruppen (Parteien, Verbände, Medien). Die ökonomischen Zusammenhänge und die politischen Prozesse müssen gleichermaßen durchschaut und berücksichtigt werden, wenn der Bürger zu einem fundierten Urteil über praktizierte Wirtschaftspolitik kommen und sich "einmischen" soll: Mehr heranwachsenden Bürgern zu besser fundierter Urteils- und Interventionsfähigkeit zu verhelfen, könnte ein realistisches Minimalziel politischer Bildung sein. (Detjen, 2000, 11 ff.)

Wirtschaftspolitisches Denken hat deshalb stets eine ökonomische, eine politische und eine normative Dimension. Ökonomische Bildung sollte überholte Grenzen von Fachdisziplinen überschreitend konzipiert sein. Ohne in diesem Beitrag im Einzelnen auf die Begründung einzugehen, könnte ein Vorschlag für Stoffkategorien der ökonomischen Bildung wie folgt aussehen (Abb. 2):

Abb. 2: Stoffkategorien der Wirtschaft

  • Die Verwendungskonkurrenz von Ressourcen äußert sich in Knappheit von Mitteln im Verhältnis zu den Zielen (Bedürfnissen) der Menschen.
  • Dies erfordert Nutzen-Kosten-Überlegungen und Entscheidungen gemäß dem ökonomischen Prinzip unter Risikobedingungen.
  • Wirtschaften vollzieht sich arbeitsteilig in spezialisierten Berufen, Betrieben.
  • Wirtschaftsprozesse bedürfen der Koordination, die im Betrieb über Organisation, in der Marktwirtschaft überwiegend über Märkte im Wettbewerb erfolgt.
  • Wirtschaften vollzieht sich, vermittelt durch Geld, in Wirtschaftskreisläufen zwischen Haushalten, Unternehmen, Staat und Ausland.
  • Wirtschaften ist mit Interdependenzen und oft mit Zielkonflikten verbunden.
  • Wirtschaftsprozesse vollziehen sich nicht gleichgewichtig (Strukturwandel, Gefahr von Instabilitäten wie z. B. Inflation, Arbeitslosigkeit).
  • Wirtschaften ist mit Externalitäten sowie materiellen und sozialen Ungleichheiten verbunden.
  • Dies erfordert Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf oder die Wirtschaftsordnung (Konjunktur-, Sozial-, Umweltpolitik).
  • Wirtschaftliche Entwicklungen und wirtschaftspolitische Eingriffe berühren die Interessen Einzelner oder von sozialen Gruppen unterschiedlich (Interessenkonflikte).
  • Wirtschaftspolitische Entscheidungen berühren Werte wie Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit und sind daher Gegenstand politischer Auseinandersetzungen.
  • Wirtschaften erfolgt in einer Rahmenordnung aus rechtlichen, sozialen und anderen Institutionen (Wirtschaftsordnung; Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft).
  • Wirtschaftsordnung und -verfassung werden im demokratischen Staat gestaltet und legitimiert (Institutionen und Prozesse politischer Willensbildung).

... der ökonomischen Perspektive bewusst ....

Grenzen zwischen Ökonomie und Politik überschreiten heißt aber nicht, die eine Disziplin durch die andere zu okkupieren. Jede der beiden Fachwissenschaften hat ihre eigenen Gegenstände, Erklärungsziele und Methoden und leistet - auf der Ebene schulischer Bildung - einen spezifischen Beitrag zum Weltverständnis.

Ökonomen und Politikwissenschaftler betrachten häufig die gleiche Problemstellung, aber aus verschiedenen Perspektiven. Den Ökonomen interessiert die Interaktion von Menschen zur effizienten Erreichung wirtschaftlicher Ziele in einer politisch gestalteten Rahmenordnung und unter dem Einfluss von verhaltenswirksamen prozessualen Eingriffen des Staates, die die ökonomische Effizienz fördern, aber auch beeinträchtigen können.

Im Zentrum des Interesses des Politikwissenschaftlers stehen das Zusammenleben von Menschen im "Staat" und die Beziehungen zwischen Staaten. Politikwissenschaft befasst sich damit, "wie und in welcher Weise das Zusammenleben der Menschen gesichert werden kann, wie und unter welchen Bedingungen es im Hinblick auf bestimmte Ziele zu verändern ist ... Interesse, Konflikt, Macht, Konsens, Opposition und Legitimität gelten als politikwissenschaftliche Grundbegriffe. Alle drücken Beziehungen zwischen Individuen, zwischen Individuen und Gruppen oder zwischen verschiedenen Gruppen aus." (Naßmacher 1998, 5)

Diese Grundbegriffe haben eine kategoriale Funktion zur Erschließung der Gegenstandsbereiche von Politikwissenschaft: "Von der Politikwissenschaft mit Vorrang erforscht ist der Teilbereich der ‚Innenpolitik'; die bessere Bezeichnung ist wahrscheinlich der Begriff ‚Politische Systeme' ... Insbesondere die Betrachtung der System-Umwelt-Beziehungen bedingt eine enge Verbindung mit einem weiteren Teilbereich der Politikwissenschaft, der ‚Politischen Soziologie'. Deren Gegenstand ist die Erforschung von gesellschaftlichen Voraussetzungen staatlichen Handelns ... Die verschiedenen Formen der Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten behandelt die ‚Internationale Politik'. Sie befaßt sich mit den grenzüberschreitenden Interaktionen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren." Die Befassung mit politischer Philosophie und politischer Ideengeschichte erfolgt "unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur ‚politischen Theorie'." (Naßmacher 1998, 19 f.)

Letzteres ist auch fruchtbar für die Begründung von Leitbildern politischer Bildung (Breier 2001). Sowohl im Bereich Innenpolitik als auch in der Internationalen Politik befasst sich Politikwissenschaft zu einem großen Teil mit wirtschaftlichen Problemen (beispielsweise mit Programmen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit oder mit internationalen Währungskonferenzen), und politische Soziologie trägt bei zur Erklärung von steuer- oder sozialpolitischen Interventionen zur Einkommensumverteilung unter dem Einfluss von Verbänden und anderen Interessengruppen. Spezifisch für die Politikwissenschaft sind demgegenüber Fragen der Herrschaftsordnung und der Sicherheits- und Friedenspolitik. Ökonomische Funktionszusammenhänge kommen in der Politik überwiegend als Restriktionen in den Blick: Ökonomische Prosperität beeinflusst die Stabilität des politischen Systems, ökonomische Effizienz erweitert bzw. begrenzt die verfügbaren Ressourcen und damit die Handlungsmöglichkeiten von Politikern.

Wenngleich sich die Gegenstandsbereiche von Wirtschaft und Politik in vielen Fällen überschneiden, so haben beide Disziplinen doch ihre spezifischen Fragestellungen und Methoden. Es wäre ein Fehler, die angestrebte Ganzheitlichkeit von Bildung so zu verstehen, dass der Fachlehrer alle relevanten Aspekte eines Problems (das würde häufig genug auch naturwissenschaftliche, mathematische oder historische Aspekte umfassen) integrativ fächerübergreifend unterrichten soll. Ein solcher Unterricht läuft Gefahr, inhaltlich fehlerhaft zu sein und begünstigt nicht die Entwicklung methodischen Denkens bei den Schülern. So wie eine Statue erst dadurch als komplexes Ganzes erkannt werden kann, dass sie von verschiedenen Seiten betrachtet wird, ist erst die "Ausleuchtung" wirtschaftspolitischer Probleme aus verschiedenen Perspektiven in der Lage, eine zutreffende Vorstellung von ihrer Komplexität entstehen zu lassen. Hilfreich ist dabei, wenn die Spotlights nicht trennscharf nebeneinander verschiedene Teile ausleuchten, sondern wenn Überschneidungen entstehen und Übergänge sichtbar werden - erforderlich sind also grenzüberschreitende Perspektiven. Ökonomische bzw. politische (und gegebenenfalls historische, geografische oder ökologische) Sichtweisen sollten nicht verquirlt werden. Vielmehr müssen sie offen gelegt werden, wobei allerdings deutlich werden muss, dass zunächst eben nur eine Seite der Statue beleuchtet wird und weitere Perspektiven hinzu treten müssen.

.. den Stand der Fachwissenschaft verarbeitend.

Die Aufarbeitung neuerer Entwicklungen in der volkswirtschaftlichen Theorie kann die Voraussetzungen für "perspektivenbewusst grenzüberschreitendes wirtschaftspolitisches Denken" (zunächst einmal bei den Lehrern, dann hoffentlich auch bei deren Schülern) verbessern (Kaminski 1997). Die Institutionenökonomik ist eine Rückbesinnung auf gemeinsame Ursprünge von Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft in der Politischen Ökonomie. Sie erweist sich als eine theoretisch äußerst ergiebige Fortentwicklung zu einem umfassenden sozialwissenschaftlichen Ansatz. (Erlei u.a. 1999, 27 ff.) Mit einem ökonomischen Ansatz wird hier menschliches Verhalten in der Gesellschaft - und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern ebenso in der Politik (Parteiendemokratie, Bürokratie, Verbände) - analysiert. Untersucht und erklärt werden die Entstehung und Gestaltung der Spielregeln sozialen Zusammenlebens (Institutionen) und ihr Zusammenwirken in einer "allgemeinen Theorie der Bedingungen und Folgen menschlicher Interaktionen auf der Grundlage von individuellen Vorteils-/ Nachteils-Kalkulationen. Sie geht weit über das lange Zeit dominierende Verständnis als ‚Wirtschaftswissenschaft' hinaus und gewinnt die verloren gegangene gesellschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Dimension zurück." (Homann/ Suchanek 2000, VI) Die Institutionenökonomik stellt einen seiner ökonomischen Perspektive bewussten, grenzüberschreitenden Ansatz zur Erklärung menschlichen wirtschaftlichen und politischen Handelns in differenzierten institutionellen Arrangements dar, der sich nicht zuletzt für die ökonomische Bildung als außerordentlich fruchtbar erweist. (Karpe/Krol 1997; Krol 2001)

Literatur

Breier, K. H. (2001): Leitbilder der Freiheit und ihre Bedeutung für die politische Bildung in einer Republik, Habil.-Schrift. Kiel (im Erscheinen).

Dauenhauer, E. (1997): Kategoriale Wirtschaftsdidaktik. Münchweiler.

Detjen, J. (1999): Die Demokratiekompetenz der Bürger. Herausforderung für die politische Bildung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 25, 16. Juni 2000, Seite 11 ff.

Erlei, M./ Leschke, M./ Sauerland, D. (1999): Neue Institutionenökonomik. Stuttgart.

Homann, K./ Suchanek, A. (2000): Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen.

Kaminski, H. (1997): Neue Institutionenökonomik und ökonomische Bildung. In: Kruber, K. P. (Hg): Konzeptionelle Ansätze ökonomischer Bildung. Bergisch-Gladbach, Seite 129ff.

Karpe, J./ Krol, G.J.: Ökonomische Verhaltenstheorie. Theorie der Institutionen und ökonomische Bildung. In: Kruber, K.P. (Hg.): a.a.O., Seite 75 ff.

Krol, G.J. (1997): "Ökonomische Bildung" ohne "Ökonomik"? Zur Bildungsrelevanz des ökonomischen Denkansatzes. In: sowi-online-journal 1/2001.

Kruber, K.-P. (1997): Stoffstrukturen und didaktische Kategorien zur Gegenstandsbestimmung ökonomischer Bildung. In: ders. (Hg.): a.a.O., Seite 55 ff.

Kruber, K.-P. (2000): Kategoriale Wirtschaftsdidaktik - der Zugang zur ökonomischen Bildung. In: Gegenwartskunde 49, Heft 3, S. 285-295, dokumentiert im sowi-onlinereader 1: Ökonomische und politische Bildung.

Naßmacher, H. (1998): Politikwissenschaft. 3. Auflage. München.

Plöger, W. (1999): Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik. München.

Seeber, G. (2001): Ökologische Ökonomie. Eine kategorialanalytische Einführung. Wiesbaden.

Steinmann, B./ Weber, B. (1995): Handlungsorientierte Methoden der Ökonomie. Neusäß.

Sutor, B. (1984): Neue Grundlegung politischer Bildung. Band 2. Paderborn.

Western, R. (1997): Connecting the Pieces. Building a Better Economics Lesson (edited by The National Council on Economic Education). New York.


KeyWords: ökonomische Bildung, Lernfeld, Handlungskompetenz, Wirtschaftsunterricht, kategorialer Ansatz, kategoriale Bildung, Institutionenökonomik, Politikwissenschaft