Digitale Desinformation als Teil neurechter Agitation und die Rolle von politischer (Medien-)Bildung
Der 20. Global Risks Report des World Economic Forums identifiziert Desinformationen zum Jahresbeginn 2025 als anhaltende Bedrohung für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aus der nur ein Jahr zuvor veröffentlichten Studie „Verunsicherte Öffentlichkeit“ geht hervor, dass 81 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass Desinformationen eine Gefahr für die Demokratie seien, weil sie geeignet sind, Wahlen zu beeinflussen sowie das Vertrauen in Politik, Parteien und Medien zu untergraben. Der im Oktober 2024 veröffentlichte Jahresbericht 2023 von jugendschutz.net konstatiert, dass generative KI, Risiken für Kinder und Jugendliche im Netz verschärfe: Das Gefährdungspotenzial in den Bereichen sexualisierte Gewalt, Mobbing und Extremismus nehme zu.
Akteure der Neuen Rechten lassen sich als early adopter digitaler Möglichkeiten charakterisieren. Desinformationen in Kombination mit toxischer Kommunikation und Emotionalisierung zählen zum essenziellen Repertoire ihrer menschenfeindlichen Agitation. Während die demokratischen Parteien über ethische Prinzipien bei der Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten wie Verantwortung, Transparenz und Datenschutz diskutieren und eine rassistische Programmierung von KI-Modellen kritisieren, begrüßen Akteure der Neuen Rechten solche Optionen, die ihnen helfen, die Realität zu verzerren sowie rechtsextreme Feindbilder zu verbreiten. Als relevantes Diskursfeld sind auch Schulen und Hochschulen in den Fokus der Neuen Rechten gerückt. Die AfD postuliert ein absolutes Neutralitätsgebot – aktuell operationalisiert u. a. durch die Homepage „Neutrale Lehrer“. Solche Frames offenbaren den Charakter von Desinformation: Themen wie Rassismus oder Rechtsextremismus sollen von Lehrkräften im Sinne einer Selbstzensur seltener behandelt oder sogar gänzlich ausgespart werden. Fatal dabei: Studien zeigen, dass Studierende und Lehrkräfte tatsächlich verunsichert sind und mitunter sogar davon ausgehen, dass rechtsextremistische Positionen im Unterricht gleichberechtigt verhandelt werden müssen. Was kann und sollte die politische (Medien-)Bildung tun?
Angesichts der Trägheit bei der Anpassung und Weiterentwicklung von (hoch-)schulischen Curricula in (Lehramts-)Studiengängen und entsprechenden Schulfächern sollte die politische Bildung digitale Desinformation (nicht nur) neurechter Akteure unmittelbar als Handlungsfeld anerkennen. Dabei können Befunde aus der Medienpädagogik, Radikalisierungsforschung und der digitalen Extremismusprävention helfen, um das Spektrum professionsbezogener Kompetenzen für (angehende) Lehrkräfte zu erweitern. Maßgeblich darf es nicht darum gehen, politische Bildung auf Extremismusprävention zu reduzieren, oder gar Erwartungen zu hegen, politische Bildung solle Heilsbringer und Feuerwehr sein, um gesellschaftliche Brände zu löschen. Sie kann aber einen Beitrag leisten, wenn es um klassische Zielstellungen wie die Förderung von Schüler:innen in ihrer politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit oder aber auch um Intentionen machtkritischer und kritisch-emanzipatorischer Ansätze geht.
Lösungsansätze müssen ganzheitlich und gesamtgesellschaftlich gedacht werden. Allein die (Hoch-)Schule zu adressieren, reicht nicht aus. Vielversprechend erscheint eine Kombination aus technischen, politischen, zivilgesellschaftlichen und pädagogischen Maßnahmen wie z. B. Content-Moderation und Regulierung von Plattformen, Entwicklung von KI-Systemen zur automatisierten Erkennung extremistischer Inhalte, Monitoring extremistischer Netzwerke, dauerhafte Finanzierung von Forschung und Bildungsangeboten sowie zivilgesellschaftlichen Engagements.