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2. Typologie von Konzeptionen der Zusammenarbeit

 

2.1 "Unterrichtsprinzip" politische Bildung

Schon in den frühen fünfziger Jahren schenkte man der politische Bildung in der Schule Aufmerksamkeit, ohne dass ihr Gegenstandsbereich umrissen gewesen wäre und ohne dass ausgebildete Lehrer zur Verfügung gestanden hätten. PB sollte Unterrichtsprinzip für alle (!) Fächer sein, und man mühte sich, für so unterschiedliche Dinge wie den Sprach , den Kunst , den Sportunterricht gemeinsame Bezugspunkte der politischen Bildung zu finden. Meist lief das auf den Begriff der "Gemeinschaftsbildung" hinaus. Der Begriff wurde aus der Reformpädagogik der Weimarer Republik übernommen, ohne dass seine Pervertierung im "Dritten Reich" recht zur Kenntnis genommen worden wäre. Mit zunehmendem sozialwissenschaftlichen Reflexionsniveau verschwand der Gemeinschaftsbegriff, während der pädagogische Begriff des Unterrichtsprinzips an seiner Wolkigkeit krankte. Dass die politische Bildung dennoch nicht zugrunde ging, sondern überhaupt erst am Anfang ihrer Entwicklung stand, ist den vielen enthusiastischen Lehrern zu verdanken, die sich ihr widmeten.

 

2.2 "Addition"

Die frühen Versuche einer Kooperation waren Additionsmodelle: Dem Geschichtsunterricht wurden politisch sozialkundliche Aspekte in Form von Zusätzen beigefügt. Charakteristisch war die Verwendung von Konjunktionen wie "mit" oder "und": "Geschichte mit Sozialkunde", "Geschichte und Sozialkunde". Demselben Typ zugehörig, aber inhaltlich erweitert, war der Versuch der Saarbrückener Rahmenvereinbarung der Kultusminister von 1960, ein Sammelfach "Gemeinschaftskunde" zu kreieren, das sich aus den Einzelfächern Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde nebst Philosophie zusammensetzte. Die Schwäche der Rahmenverein[/S. 631:]barung lag darin, dass sie auf den Gedanken setzte, die Addition von Einzelfächern würde als Summe von allein so etwas wie politische Bildung ergeben. Immerhin bewegte die Rahmenvereinbarung diejenigen Bundesländer, die sich bisher der Sozialkunde gegenüber taub gestellt hatten, dazu, dieser die Tür zu öffnen.

 

2.3 Das "Aspekt" Modell

Das Aspekt Modell beruht auf der Überlegung dass die meisten Themen des Politikunterrichts einen historischen Aspekt haben und umgekehrt viele Themen des Geschichtsunterrichts einen politischen, der sich u. U. für die Gegenwart aktualisieren lässt. In Unterrichtsmodellen und Lehrbüchern wurde die Abstimmung der Aspekte so gehandhabt, dass bei historischen Themen der sozialwissenschaftlich politische Aspekt an das historische Thema angehängt wurde, während man bei sozialkundlich politischen Themen den historischen Aspekt in der Regel als Einleitung vorschaltete, damit er als Genese des Problems dienen konnte. Für einen problemorientierten Geschichtsunterricht oder Politikunterricht erwies sich dieses Modell als brauchbar, vor allem dann, wenn die schematische Reihenfolge, die in der bloßen Vorschaltung oder Anhängung des jeweils anderen Aspektes lag, aufgegeben wurde zugunsten größerer Flexibilität.

 

2.4 "Integration"

Aus dem Ungenügen der Additions und Aspektlösung und aus dem Wunsch, weitreichendere Lösungen zu finden, wurde die Integrationsidee geboren. Die Integration wollte eine Verschmelzung der Fächer Geschichte und Sozialkunde. Weiter reichende Versuche schlossen auch das Fach Erdkunde mit ein. Die Arbeit an den Integrationsmodellen fiel in eine Zeit philosophischer Unruhe und didaktischer Neuansätze, angeregt durch neue Ideen in der Pädagogik, Philosophie und den Sozialwissenschaften. In der Pädagogik waren es vor allem amerikanische Erkenntnisse und Theorien über den Erkenntnisgewinn von Kindern und Schülern, die den Gedanken nahelegten, "Gesamt" Fächer anzulegen, aus denen sich im Prozess des Lernfortschrittes die Einzelfächer herauskristallisieren sollten. So gab es Vorschläge, ein Gesamtfach Naturwissenschaften zu bilden und eben auch ein Gesamtfach Gesellschaftslehre.

Was den Jahren, in denen an der Integrationslösung gearbeitet wurde, ihr besonderes Gepräge gab, war ein Modernitätsschub in der Öffentlichkeit und das Auftreten einer neuen Generation: die sogenannten 68er betraten die Bühne. Die öffentliche Erregung, die durch die Studentenunruhen ausgelöst wurde und die Furcht, dass diese Unruhen auch auf die Schulen übergreifen würden, erklärt, dass zum ersten Mal rein didaktische Fragen, wie es z. B. die Fächereinteilung oder Richtlinien waren, mit Aufmerksamkeit und Argwohn von der Öffentlichkeit beobachtet wurden. Die am entschiedensten vorgetragene Integrationslösung, die der Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre S I (1973), kam geradezu in den Geruch des Umstürzlerischen, und die öffentliche Diskussion bekam Züge einer parteipolitischen Kontroverse, die der sachlichen Auseinandersetzung nicht dienlich war. Für die Sache wichtiger war die didaktische Kritik der Fachleute. Diese lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es gelang den Hessischen Rahmenrichtlinien nicht, eine Balance der beteiligten Fächer Geschichte und Sozialkunde herzustellen, die Geschichte geriet in eine untergeordnete Rolle, die Kritiker K. E. Jeismann und E. Kosthorst stellten fest, Geschichte käme nur noch durch Sehschlitze in den Blick, die von sozialwissenschaftlichen Fragestellungen geöffnet würden.

[/S. 632]Damit war die Achillesferse aller Integrationslösungen berührt: Welchen Ansatz man auch wählt, man kommt an dem Problem nicht vorbei, dass bei einer Integration entweder das eine oder das andere Fach geschädigt wird, und zwar nicht nur in einigen Gegenstandsfeldern, sondern in seiner Grundstruktur. Legt man einem integrierten Gesamtfach Gesellschaftslehre eine diachronische Struktur zugrunde, ist es unausweichlich, dass die systematischen oder problemorientiert gegenwartskundlichen Momente der Sozialwissenschaften zu kurz kommen; legt man ihm eine systematische oder eine problemorientiert gegenwartskundliche Struktur zugrunde, erleidet die Diachronie – unaufgebbares Prinzip der Geschichte – schwere Einbußen. Auch wenn man dies nicht anstrebt, ist es unausweichlich, dass die eine oder die andere Seite in eine Hegemonierolle hineingerät.

Eine Variante des Integrationsmodells ist seit 1989 an den Hauptschulen Nordrhein-Westfalens in Kraft interessant, deshalb, weil man hier einen neuen Weg ging, ein Gleichgewicht von Geschichte und Politik herzustellen. Das Fach nennt sich "Geschichte/Politik" und leitet sich nicht vom hessischen Integrationsmodell ab, sondern geht auf die ältere Tradition des Hauptschulfaches "Geschichte mit Politik" zurück. Die Abwertung der Politik, die in dem Wörtchen "mit" begründet lag, wurde aufgehoben, indem die Politik in ein gleichberechtigtes Verhältnis zur Geschichte gesetzt wurde. Dabei ging man diesen Weg: Der gesamte Lehrplan ist in Form von 23 thematisch akzentuierten Unterrichtseinheiten angelegt. Aufs Ganze gesehen bieten diese Unterrichtseinheiten einen lockeren chronologischen Längsschnitt durch die Geschichte von der Urgeschichte bis zur Gegenwart, folgen also der Diachronie des Geschichtsunterrichts und nicht der achronischen Ausrichtung des Politikunterrichts. Dennoch werden die Anliegen des Politikunterrichts von Anfang an berücksichtigt, indem in jeder Unterrichtseinheit politisch soziale Fragen im Zusammenhang mit dem Thema aufgeworfen werden. Der Anteil politischer Qualifikationen an den Unterrichtseinheiten wird dabei von Jahr zu Jahr größer und überwiegt im letzten Schuljahr den historischen. Man könnte sagen, dass dieser Typ der Kooperation als Geschichtsunterricht beginnt und als Politikunterricht endet.

 

2.5 Zusammenarbeit durch Zuordnungen und Abgrenzungen

Die Verschmelzung von Geschichtsunterricht und Politikunterricht führte nach Ansicht vieler Lehrer dazu, dass die Schüler weder das eine noch das andere richtig lernten, und sowohl den Kultusverwaltungen wie auch den meisten Lehrern war es letzten Endes lieber, sich auf dem sicheren Boden zweier Fächer und ihrer zugehörigen Bezugswissenschaften, Studiengänge und Ausbildungswege zu bewegen als auf dem Glatteis eines Integrationsfaches. So richtete man sich weitgehend auf ein Nebeneinander von Geschichte und Politik mit vielfältigen Querverbindungen ein. Es wurden auf der Ebene der Richtlinien Absprachen getroffen, welche Stoffgebiete vor allem aus der Zeitgeschichte von dem einen oder dem anderen Fach übernommen werden sollten, damit Doppelungen vermieden würden. Die Umsetzung in die Praxis ist jedoch nicht immer leicht. So hat es z. B. wenig Sinn, die Entwicklungsländer im Erdkunde oder Politikunterricht zu behandeln, solange nicht wenigstens die Kolonisierungs und Entkolonisierungsepoche im Geschichtsunterricht besprochen worden ist. Zeitliche Absprachen sind nötig, weil die Richtlinienkommissionen verschiedener Fächer meist nebeneinanderher arbeiten.

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Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/886