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Bundeselternrat/ Renate Hendricks: Berufswahl aus der Sicht von Eltern.

Die richtige Berufswahl wird für junge Menschen immer schwieriger. Der Anteil der Schulabsolventen aus allen Schulformen, die nicht wissen, welchen Beruf oder welches Studium sie ergreifen wollen, wächst. Zudem ist das Angebot an Ausbildungsberufen in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet worden. Neben den traditionellen Berufen, die uns allen bekannt sind, gibt es eine Vielzahl von neuen Berufen.

Die Orientierungslosigkeit der jungen Generation liegt u. a. auch daran, dass die Arbeitswelt komplexer geworden ist und die Jugendlichen nur vage Vorstellungen von möglichen Berufsfeldern während der Schulzeit entwickeln können. Schule und Berufsleben haben immer noch zu wenig Berührungspunkte, so dass vielen Jugendlichen nicht nur die Vorstellung des von ihnen anzustrebenden Berufes fehlt, sondern auch Vorstellungen über die Arbeitswelt und die dort zu erfüllenden Anforderungen.

Diese Berufsorientierung kann die Schule nicht alleine vermitteln. Es ist es daher notwendig, dass die Jugendlichen die Möglichkeit erhalten, im Laufe der Schulzeit mehr als ein Praktikum zu absolvieren. Weiterhin sollten erste Beratungsgespräche mit Schüler/innen und Eltern bereits ab der achten Klasse erfolgen. Über einen Berufswahlpass sollten Erfahrungen und Lernergebnisse im Rahmen des Berufswahlprozesses festgehalten und für die Jugendlichen nachlesbar und vorzeigbar sein.

Die in der Zwischenzeit in allen Schulen durchgeführten Praktika werden von den Jugendlichen unter sehr unterschiedlichen Kriterien ausgewählt. Es erscheint daher sinnvoll, in der Schulzeit zwei Praktika zu absolvieren. Dies führt zu vertieften Einsichten, zu Vergleichsmöglichkeiten und Erfahrungen und auch zu mehr Flexibilität.

Der Bundeselternrat [1] hat gefordert, dass alle Jugendlichen eine gute und fundierte Begleitung bei ihrer Berufswahl erhalten müssen. Dies muss neben dem Elternhaus auch die Schule leisten. Wichtiger Kooperationspartner für die Schule und die Eltern sollte die Berufsberatung der Arbeitsämter sein. Es wäre schön, wenn durchgängig die Gewissheit bestehen würde, dass diese eine qualifizierte und individuelle Ausbildungsberatung durch befähigte Berufsberater anbietet. Die derzeitige Beratung lässt leider oftmals viele Wünsche offen. Sie ist zu wenig auf die Persönlichkeit und die Vorbildung der Jugendlichen abgestimmt.

Allerdings wissen Eltern auch, dass dies noch Zukunftsmusik ist und sich im Sinne der jungen Generation schnell etwas verändern muss. Es wäre daher sinnvoll, wenn auch private Berufsberater mit Schulen und Eltern zusammenarbeiten könnten und dafür Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen würden.

Der Berufsfindungsprozess sollte für Eltern genauso wichtig sein, wie ehedem die Wahl der richtigen Schule. Berufswahlvorbereitung ist auch ein Familienprozess, der aktiv verstanden und gestaltet werden sollte.

Im Berufswahlprozess sollten Stärken, Begabungen, Schwächen und Vorzüge sowie Neigungen und Belastbarkeit des Jugendlichen angesprochen werden. Es gibt nie nur den einen Beruf, es gibt immer viele, die langsam eingekreist und auf die Brauchbarkeit für die eigene Person hin untersucht werden müssen. Dieser Prozess braucht zusätzlich zum Engagement der Eltern auch professionelle Unterstützung.

Die Jugendlichen sollten bei ihrer Suche nach der richtigen Perspektive für die Zukunft von den Eltern, den Schulen und einer guten Berufsberatung in ihrem
Findungsprozess unterstützt werden. Die Berufswahlentscheidung ist Teil eines Lebenskonzeptes für den jungen Menschen.

Wichtig ist es deshalb, dass die erste Berufswahl möglichst ein Volltreffer wird. Der missglückte Einstieg in einen Beruf belastet den jungen Menschen ein ganzes Leben lang. Über die Berufstätigkeit definiert er sein Selbstwertgefühl. Erfolg oder Misserfolg entscheiden damit über die weitere Bereitschaft Neues auszuprobieren, sich zu engagieren, Belastungen auszuhalten und ein Leben lang die Bereitschaft zu erhalten zu lernen und sich fortzubilden.

Eltern sollten aus Verantwortung für ihre Kinder alles ihnen Mögliche tun, um die Berufswahl erfolgreich zu gestalten. Dazu können Hilfen von außen, Gespräche mit Berufsberatern, mit Psychologen sowie das Studium von Literatur einen sinnvollen Ansatz bieten.

Der Bundeselternrat [1] hat in den letzten Jahren zwei Tagungen zu diesem Thema durchgeführt. Die dort von den Eltern verfassten Resolutionen füge ich diesem einleitenden Text bei.

 

Resolution des Ausschusses der Realschulen

auf der Fachtagung vom 15. - 17. 09. 2000 in Neustadt/ Weinstraße

Thema: Veränderte und verbesserte Berufswahlvorbereitung in den Realschulen - welchen Beitrag kann eine gute Berufswahlvorbereitung für den erfolgreichen Übergang von der Schule in die Berufsausbildung leisten?

Der Realschulausschuss im Bundeselternrat [1] hat sich auf seiner Fachtagung mit der Thematik des Übergangs von der Realschule in das Berufsleben auseinander gesetzt. Die von der Wirtschaft beklagte unzureichende Ausbildungsfähigkeit und die Schwierigkeiten der Schulabgänger bei der Wahl eines geeigneten Berufs zeigen, dass für alle Verantwortlichen dringender Handlungsbedarf besteht.

In den einzelnen Bundesländern werden Schüler/ -innen durch die Schule auf unterschiedlichste Weise auf das Berufsleben vorbereitet. Der Realschulausschuss hält es für notwendig, dass in der gesamten Bundesrepublik vergleichbare Regelungen festgeschrieben werden.

Den Jugendlichen stehen mittlerweile über 400 Ausbildungsberufe offen, von denen nur wenige bekannt sind.

Deshalb muss z. B. erreicht werden, dass im Rahmen des Unterrichts ab der 8. Klasse jährlich mindestens ein Besuch im Beratungs- und im Berufsinformationszentrum stattfindet. Dafür muss ein angemessenes Stundenvolumen vorgehalten werden.

Bereits bestehende Modelle belegen die Möglichkeit, Wichtigkeit und den Erfolg solcher Angebote.

Eine Kooperation zwischen Schule und Arbeitswelt ist unabdingbar. Die Schulen müssen berufsweltoffen und die Wirtschaft schulweltoffen werden. Nur in Kenntnis der jeweiligen Systeme kann es gelingen, Ausbildungsfähigkeit zu erreichen. In diesen Prozess sind Eltern notwendigerweise einzubeziehen.

Zur Berufsorientierung muss das Betriebspraktikum in der Realschule in allen Bundesländern verbindlich durchgeführt werden. Das Betriebspraktikum als schulische Veranstaltung bedarf einer sorgfältigen Vor- und Nachbereitung im Unterricht.

Darüber hinaus müssen die vorhandenen Informationen und Erfahrungen auf vielfältige Weise genutzt werden.

Insbesondere ist es hilfreich, wenn ehemalige Schüler/ -innen und deren Ausbilder ihren persönlichen Werdegang und ihre Berufsbilder vorstellen.

Es ist außerdem unbedingt erforderlich, im Unterricht alle medialen Möglichkeiten zu nutzen.

Den ständig beklagten Leistungsdefiziten muss begegnet werden:

  • durch Sicherung der in den Kernfächern vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten,
  • durch die Stärkung der sozialen und personalen Kompetenzen.

Eine erfolgreiche Berufsvorbereitung in der Schule setzt voraus, dass Betriebspraktika in der Lehreraus- und Weiterbildung verpflichtend werden.

Weiterhin wird die Wirtschaft aufgefordert, durch verantwortliche Personalplanung Schule und Arbeitswelt zu unterstützen.

Der BER [1] fordert daher

  • bessere Vermittlung der Grundkompetenzen in den Kernfächern,
  • Vermittlung eines angemessenen Umgangs mit Informations- und Kommunikationsmedien,
  • kontinuierliche Berufsberatung ab Klasse 8,
  • intensive Zusammenarbeit mit den zuständigen Arbeitsämtern,
  • Aufzeigen von Berufsperspektiven bereits in der Beratungsphase,
  • Gewährleistung von mindestens zweiwöchigen Berufspraktika für alle Schüler,
  • verpflichtende Berufspraktika in der Lehreraus- und -weiterbildung.

 

 

Resolution der Fachtagung für den Gesamtschulausschuss des BER

vom 26. - 28.01.2001 in Magdeburg

Thema: Berufswahlvorbereitung in der Gesamtschule

Der Gesamtschulausschuss im Bundeselternrat [1] hat sich auf seiner Fachtagung mit der Berufswahlvorbereitung und dem Übergang in Ausbildung und Studium auseinander gesetzt.

Wir unterstützen die Resolutionen des Ausschusses der Realschulen vom 17. 09. 2000 und des Ausschusses der Gymnasien vom 2. 04. 2000, die sich mit der gleichen Thematik beschäftigt haben.

In Ergänzung dieser Resolutionen haben wir folgende Forderungen und Empfehlungen:

In der Gesamtschule sollen die Unterrichtsfächer zum Thema Arbeit, Wirtschaft und Technik verstärkt und gefestigt werden, da sie die Grundlage für die berufliche und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern sind. Die fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenzen werden als Grundlage in der Schule gelegt, sind Basis auch der Berufswahlkompetenz und für einen lebenslangen Bildungsprozess.

Aus diesem Grund fordern wir die Befähigung der Lehrkräfte für die Berufsfindungsphase und zur Vorbereitung, Begleitung und Auswertung der Praktika. Daneben fordern wir Betriebspraktika für Lehrerinnen und Lehrer, damit sie selbst erfahren, wie Wirtschaft und Unternehmen funktionieren, um damit ableiten zu können, welche Anforderungen an Schülerinnen und Schüler im Berufsleben gestellt werden.

Die in den Gesamtschulen fest verankerten Praktika dienen zur Begegnung mit der Berufswelt und können zur Auseinandersetzung mit eigenen Berufsvorstellungen führen. Das Betriebspraktikum ist ein wichtiges methodisches Instrument und soll das berufliche Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler mit der Realität der Arbeits- und Wirtschaftswelt in Einklang bringen. Es ist in den unterrichtlichen Zusammenhang einzubetten und fächerübergreifend zu behandeln. Besonders die Vorbereitungs- und Auswertungsphase muss qualifiziert ausgestaltet werden. Die Durchführung darf nicht ohne Begleitung stattfinden und muss von den Beteiligten konzeptionell vorbereitet sein. Die Schülerinnen und Schüler sollen in die Lage versetzt werden, auf dem Hintergrund der exemplarischen Erfahrungen in den Betriebspraktika auch andere Berufsfelder reflektieren zu können. Die Begleitung des Praktikums muss finanziell und sachlich abgesichert sein.

Zur qualifizierten Berufswahlvorbereitung ist die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt erforderlich, dessen Beratungsauftrag im III. Sozialgesetzbuch in den §§ 29 - 34 und im Artikel 12 GG verankert ist. Die Ebenen der Zusammenarbeit Schule/ Berufsberatung sind festgeschrieben in der Rahmenvereinbarung der KMK vom 5. 02. 1971, im Übereinkommen zwischen der Bundesanstalt für Arbeit [2] und der KMK [3] vom 12. 02. 1971 und in dem Übereinkommen auf Länderebene.

Um diesen Rechtsanspruch zu erfüllen, fordern wir von der Bundesanstalt für Arbeit eine qualifiziertere, individuelle Ausbildungsberatung und -planung. Die Berufsberater sind dazu entsprechend zu befähigen. Öffnungszeiten der BIZ [4] und Sprechzeiten der Berater haben sich den Bedürfnissen der Familien zu orientieren, so dass auch berufstätige Eltern die Angebote wahrnehmen können. Die Beratungsstellen sind so zu besetzen, dass Termine zeitnah zur schulischen Berufswahlvorbereitung kurzfristig angeboten werden können.

Neue Formen der Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit von Schulen, Betrieben, Bildungsträgern und Eltern müssen entwickelt werden. Die schulischen und beruflichen Ausbildungsinhalte und -pläne sind zukunftsorientiert zu reformieren. Das duale Ausbildungssystem muss erhalten, gestärkt und qualitativ verbessert werden.

In der Sekundarstufe II ist die Kompetenz zur Entscheidungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im Blick auf Berufs- und Studienwahl in den Gesamtschulen weiterhin zu fördern und zu effektivieren.

In den gesamten Berufsfindungsprozess sind auch die Eltern frühzeitig einzubeziehen, da die Berufsentscheidung in den meisten Fällen in den Familien stattfindet.

 

Der Gesellschaft muss klar sein, dass Berufswahlentscheidungen Bestandteil des Lebenskonzeptes eines jeden Menschen sind.

 

Geschäftsstelle:

Bundeselternrat [1]
p. A. Vertretung des Landes NRW beim Bund
Görresstraße 13
53113 Bonn

Tel. (02 28) 26 99 - 314 / - 414
Fax (02 28) 26 99 - 424
E-Mail: Bundeselternrat@gmx.de [5]

 
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Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/650

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[1] http://www.bundeselternrat.de/
[2] http://www.arbeitsamt.de/hst/index.html
[3] http://www.kmk.org/index0.htm
[4] http://www.arbeitsamt.de/hst/services/bsw/biz/
[5] mailto:Bundeselternrat@gmx.de