Das Fach Wirtschaft oder Wirtschaftslehre steht seit Jahrzehnten sozusagen ante portas der Schulstuben. In einigen Fällen gelang ihm auch der Schritt über die Schwelle. Neuerdings ist der Terminus "ökonomische Bildung" als Fachbezeichnung verbreitet (so als sei ein Schulfach schon identisch mit Bildung). Die Auflistung derjenigen Bundesländer, Schularten und Klassenstufen, wo das Fach Eingang fand und wo es ausgesperrt, blieb ist in unserem Zusammenhang von nachgeordneter Bedeutung. Vielfach gelang es nicht, ein autonomes Fach zu implementieren und die Wirtschaftslehre ist Bestandteil der politischen Bildung, der Sozialkunde oder rudimentär des Faches Erdkunde. Damit sind natürlich die Fachvertreter, in erster Linie die Hochschullehrer in Lehramtsstudiengängen, nicht zufrieden. Von den drei Partikularfächern Haushalt, Technik und Wirtschaft hätte letzteres, so dürfen wir vorsichtig spekulieren, die größte Chance, in die Stundentafel der allgemeinbildenden Schule aufgenommen zu werden, wenn dort nicht bereits Gedränge herrschte. Ein solcher Bonus kommt nicht von ungefähr: Wirtschaftslehre hat nicht das diffuse Image der Mädchenbildung, welches das Fach Haushalt belastet, und es kostet nicht soviel wie das ausstattungsintensive Fach Technik. Zweitens hat Wirtschaftslehre eine relativ einflußreiche Lobby in Gestalt der Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft". Ob die "Vereinigung junger Unternehmer" oder andere Honoratioren des öffentlichen Lebens, sie sind sich einig, daß die jungen Menschen wirtschaftlich alphabetisiert werden müßten. Wie das zu geschehen habe, können viele nicht genau sagen, gefordert wird es allemal.
Wir fragen also zunächst nach dem Objekt der Lehre. Bei Lehrbuchweisheiten, denen zufolge Wirtschaft die Gesamthe). Dem Begriff Wirtschaft fehlt das real existierende Substrat, das bei der Technik die Artefakte sind, beim Haushalt die zumindest empirisch vorweisbaren Aktionseinheiten. Was aber ist Wirtschaft? Selbst wenn die oberste Modellebene verlassen wird, um die "Weltwirtschaft", die "Europäische Wirtschaft", die "Nationalökonomie", die "Betriebswirtschaft", die "Marktwirtschaft" usw. zu beschreiben, sind wir auf Modellkonstruktionen angewiesen.
Man muß immer wieder auf eine sehr triviale Erkenntnis verweisen: Schüler der Sekundarstufe I verbinden häufig mit "Wirtschaft" den Ort, wo der Vater am Samstagabend hingeht und mit "Markt" den Wochenmarkt oder den Supermarkt, je nach Konsumentengewohnheit. Gewiß, Schule muß immer mit vorwissenschaftlichen, oft naiven [/S. 182:] Deutungsmustern der Jugendlichen rechnen, die es fortzuentwickeln gilt. Bei der Wirtschaftslehre allerdings hat man den Eindruck, daß die Schüler in eine virtuelle Welt geführt werden, wo alles Sinn zu haben scheint, selbst die Paradoxien.
GERDSMEIER [1], der sich sehr differenziert zur schulischen Wirtschaftslehre äußert, bemerkt:
"...hat das Unbehagen vieler Ökonomen am 'Modellplatonismus der Ökonomie' - also an der Bescit aller Maßnahmen ist, um unter Knappheitsbedingungen die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zögern wir schon. Uns fallen nämlich die Absatzschwierigkeiten ein, die die anbietende Wirtschaft hat und wir denken an die raffinierten Strategien, die zunehmend verfeinert werden, um dem Konsumenten Bedürfnisse zu oktroyieren. Verfechter eines Schulfaches Wirtschaft könnten wir damit nicht beeindrucken. Die Abweichungen von der reinen Lehre würden als besonders fruchtbares Moment im Bildungsprozeß definiert. Außerdem würden wir belehrt, daß Bedürfnisse nichts Statisches seien und Wirtschaft auch dazu da sei, Bedürfnisse zu stimulieren.
Erfreulicherweise gibt es in den Reihen der schulnahe denkenden Ökonomen und der Fachdidaktiker auch Stimmen, die Probleme mit dem Objektbereich einer schulischen Wirtschaftslehre haben. Die meisten berufen sich auf die schon klassische Kritik von
H. ALBERT am Modellplatonismus der Wirtschaftswissenschaften (ALBERT 1967 [1] häftigung mit Modellen, die aus prinzipiellen Gründen nichts über die Wirklichkeit aussagen können und deshalb weder wahr noch falsch, sonder gehaltlos sind und bleiben - bereits vor Jahren zu einer verstärkten 'Problemorientierung' in Forschung und Lehre geführt. Anstelle der alles dominierenden Fragestellung der Gleichgewichtsökonomik wurden Fragen der gesellschaftlichen Organisation wirtschaftlicher Prozesse, wirtschaftlicher Instabilitäten, der Einkommens- und Vermögensverteilung, globaler Armut, wirtschaftlicher Macht usw. zu leitenden und strukturierenden Kriterien. Diesen Fragen ist gemeinsam, daß mit ihnen nicht allein einem theoretischen Erkenntnisinteresse gefolgt wird, sonder i.d.R. außerökonomische Werte ausdrücklich in den Forschungsprozeß einbezogen werden."
(GERDSMEIER 1980 [1], S. 85, Hervorhebung: G.R.)
Ganz in diesem Sinne äußert sich auch LACKMANN 1996 [1] (auf dessen "Ökologisierung der Ökonomie" kommen wir noch zurück). Die von GERDSMEIER genannten außerökonomischen Werte, sind allesamt Bestandteil jedes modernen Lehrplans für Politik/Sozialkunde. Es wäre verfrüht, das Schulfach Wirtschaftslehre als überflüssigen Separatismus im Kontext der Diskussion über politische Bildung zu bezeichnen. Wir werden noch weitere Argumente sammeln müssen.
GERDSMEIER und auch LACKMANN [2] nennen drei Typen von wirtschaftsdidaktischen Konzepten, die heute unterscheidbar sind, wobei von Grenzfällen einmal abgesehen werden soll.
KAMINSKI [3] gehört zu denjenigen Autoren, die konsequent von "ökonomischer Bildung" sprechen, weil sie der Arbeitslehre sehr kritisch gegenüberstehen, mit Rücksicht auf die landeseigene Konzeption jedoch keine Wirtschaftslehre pur proklamieren können. In einer zweiteiligen Veröffentlichung hat KAMINSKI es neuerlich unternommen, den "Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung" zu definieren. (KAMINSKI 1994 [1]). Zunächst wird eingeräumt, daß der ökonomischen Bildung (wir sprechen der Kürze halber von Wirtschaftslehre) keine universitäre Disziplin eindeutig zuzuordnen sei. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre würden nur "strukturelle Orientierungshilfen" für die inhaltliche Profilbildung des Schulfaches liefern. KAMINSKI bedauert dies ausdrücklich, denn er befürchtet eine "Anbindungsoffenheit" gegenüber anderen Fächern, also die Gefahr, Wirtschaftslehre könne bei der Arbeitslehre oder bei der Sozialkunde landen. Eine Grundfrage an unser Bildungswesen, namentlich an die allgemeinbildende Schule, lautet: soll die Verfächerung zurückgenommen oder weitergetrieben werden? Die Antwort wird hier präjudiziert. Es wird gar nicht ernsthaft erwogen, das Konstrukt "Ökonomie" aufzulösen in einen Machtaspekt und eine Sozialbindung (des Eigentums) - beides gut aufgehoben bei der politischen Bildung - und in einen ökologisch-warenkundlichen Aspekt, subsumiert unter den Gedanken der Verbraucheraufklärung, dem die Arbeitslehre gar nicht ausweichen kann.
Für KAMINSKI ist klar, daß es eines eigenen Schulfaches Wirtschaft bedarf. Man stutzt allerdings über Feinheiten der Argumentation:
"Die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse muß in Zukunft vor allem im Gymnasium mehr Bedeutung bekommen, zumal die meisten Gymnasiasten bisher in ihrer Schulzeit keine Gelegenheit haben, sich solide mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Einzelne Kurse im Fach Sozialkunde/Gemeinschaftskunde leisten keine grundlegende Abhilfe. Auch der Geographie-Unterricht, der sich u.a. mit der räumlichen Komponente des Wirtschaftens befaßt, kann keine Kriterien liefern, wirtschaftliche Prozesse theoriengeleitet verstehbar zu machen."
(KAMINSKI a.a.O. [1], S.10)
KAMINSKIs Vorliebe für das Gymnasium resultiert aus dem ungeliebten Kooperationszwang der Wirtschaftslehre mit der Arbeitslehre, namentlich in Niedersachsen. Die Distanziertheit des Gymnasiums zur Arbeitslehre böte die Chance dort eine arbeitslehrefreie ökonomische Bildung zu installieren. Immerhin könnte man meinen, daß eher Hauptschüler wegen der prognostizierbaren wirtschaftlichen Mangelsituation ihres künftigen Lebens der ökonomischen Bildung bedürfen.
Welche Gegenstandsbereiche der Wirtschaftslehre bietet uns der Autor an? Er beginnt mit einer Aussage, die in höchstem Maße erklärungsbedürftig ist: Wirtschaftliche Tätigkeit stelle eine Universale dar und sei gewissermaßen im Leben aller Menschen eine Konstante. Wenn wir jetzt erführen, welches die wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Arbeitnehmerhaushalts der unteren Einkommensgruppe sind, wären wir dankbar. Diese soziale Gruppierung ist bekanntlich im Wachstum begriffen. Bezeichnend für sie ist, daß das Einkommen nur als Grenzfall der unmittelbaren Bedarfsdeckung gelten kann, daß Ersparnisse nicht vorhanden sind, ja, daß häufig eine gewisse Schuldenlast zu tragen ist. Auf die wirtschaftliche Mitbestimmung im Betrieb soll das Schulfach Wirtschaft vorbereiten. Abgesehen davon, daß diese nur ein Segment der betrieblichen Mitbestimmung darstellt, werden Betriebsräte nur in seltenen Fällen auf ihr Schulwissen rekurrieren, sondern die gewerkschaftliche [/S. 184:] Argumentationslinie sich zu eigen machen. Die Lobby des Schulfaches Wirtschaft wird nicht müde, das Fach als Grundlage für eine wie immer geartete wirtschaftspolitische Partizipation anzupreisen. Jeder Wahlberechtigte mag sich fragen, wie er die Relation zwischen Ökonomiekenntnissen und Einflußmöglichkeiten einschätzt. Die wirtschaftspolitischen Mainstreams der Parteien sind bekannt. Gleichwohl dürfte die Wahloption aller diplomierten Volkswirte genau so streuen, wie die von Bäckern. Dies hat eine einfache Erklärung: Nicht Fachwissen steht zur Wahl sonder allgemeine Absichtserklärungen. Aber selbst wenn sich wirtschaftspolitische Entscheidungen konkretisieren, gibt es konkurrierende fachwissenschaftliche Beurteilungen, wie es die oft konträren Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute zeigen.
Die dann folgende Aufzählung von "wirtschaftlichen Einflüssen", denen die Jugend ausgesetzt ist, darf man schon als Ritual bezeichnen. Die Jugend sieht sich mit Werbung konfrontiert, mit Wirtschaftsnachrichten in den Medien, mit Verbraucheraufklärungskampagnen, ökologischen Bedrohungen, die einen ökonomischen Hintergrund haben. Dies alles können die Jugendlichen nicht einordnen, wenn sie keinen Unterricht in Wirtschaftslehre hatten. Eine solche Aufzählung ist nicht neu, man kann auch aus ihr den Schluß ziehen, daß die Vermittlung von Strukturwissen, insbesondere der Erwerb einer wirtschaftstheoretischen Begrifflichkeit, das Verständnis zu verbessern vermag. Nicht zu verwechseln ist diese Zielebene jedoch mit Handlungsfähigkeit. Strukturwissen ist - wie so oft - eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Gestaltung der realen Welt.
KAMINSKI [3] wartet aber mit noch eindrucksvolleren Fakten auf: Die internationalen Finanzströme wachsen dem Volumen nach und berühren auch die Privathaushalte. Nationalstaaten werden auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig; die Industrieländer gefährden mit ihrem Wachstum die armen Länder; Wirtschaftskreisläufe sind so global, daß ein nationaler Bankrotteur andere Staaten mit hineinreißt; die staatsfreien Räume (der Meeresboden, die Antarktis, der Weltraum) werden wirtschaftlich zum Zankapfel; die weltweite Arbeitskräftewanderung entleert die Herkunftsländer und schafft Zündstoff in den Aufnahmeländern. Das beeindruckt, entmutigt uns aber noch mehr, wenn wir an die Handlungsmöglichkeiten des Schülers denken. Und es sagt noch nichts über den angekündigten Gegenstandsbereich der Wirtschaftslehre aus.
Dieser wird uns nun - ein bißchen enttäuschend - angeboten. Nach den angerissenen Weltproblemen wird KAMINSKI wieder nationalstaatlich.
"Dies führt zur weiteren These, daß generell die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eines Landes den Ornungsrahmen für Arbeits- und Lebenssituationen der Bürger und für die Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft bildet. Wenn also die allgemeinbildende Schule auf die Bewältigung von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen, auf die Teilhabe am kulturellen, sozialen, ökonomischen, politischen Prozessen, vorbereiten soll, dann muß auch die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als der Ordnungsrahmen und als das Handlungsfeld gewählt werden, mit dem sich Kinder und Jugendliche in der allgemeinbildenden Schule auseinanderzusetzen haben."
(KAMINSKI a.a.O. [1], S.11)
Das nachfolgend wiedergegebene Analyseschema sollen die Schüler in irgend einer Weise füllen (es bleibt die Frage offen, für wie viele Volkswirtschaften dies zumutbar ist). Ergänzt wird es durch den nicht eben originellen Vorschlag, daß eine Funktionsfolie über das Strukturschema zu legen sei, die die Kreislaufbeziehungen der Aggregate: Haushalte, Unternehmen und Staat zum Gegenstand hat. Wenn das kein Modelldenken in seiner rigidesten Form ist! [/S. 185:]
Noch immer ist der "Gegenstand der ökonomischen Bildung" kein Gegenstand sondern eine metasprachliche Kommunikation. Wie wir noch im Laufe unserer Betrachtungen sehen werden, ist das Schulfach Wirtschaft überwiegend das mühsame explizieren von Begriffen mit Hilfe von Begriffen.
[hier (S. 185) steht im Original ein ordnungspolitisches Analyseschema von Hans Kaminski (Der Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung, in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, H. 14/1994 (Teil I) u. 15/1994 (Teil II)) mit einer Übersicht über Ordnungselemente, Ordnungsformen und ihre Kombination zur Wirtschaftsordnungen; Anm. der sowi-online-Redaktion]
WEINBRENNER [4] hat schon in einer viel früheren Veröffentlichung (WEINBRENNER 1983 [1]) das Thema "Wirtschaftsordnung" als didaktische Zielkategorie überzeugender diskutiert.
"Eine Bedingungsanalyse, die die anthropogenen und soziokulturellen Lernvoraussetzungen der Schüler zu klären hat, muß zunächst von dem Befund ausgehen, daß Jugendliche sich unter den Begriffen Markt, Marktwirtschaft und Wirtschaftsordnung nur wenig oder gar nichts vorstellen können. Es handelt sich bei diesen Begriffen um wissenschaftliche Konstrukte, die in der Alltagssprache der Jugendlichen nicht vorkommen und mit denen sie daher auch keine subjektiven Erfahrungen verbinden können."
(WEINBRENNER a.a.O. [1] S.2)
WEINBRENNER geht von der Überlegung aus, daß das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft mit Schülern auf drei Ebenen reflektiert werden müsse, und erst die Zusammenschau eine Urteilsfähigkeit ermöglicht. [/S. 186:]
Unschwer erkennen wir, daß aus einer solchen mehrdimensionalen Betrachtungsweise, WEINBRENNER spricht von der Metaebene, Problembewußtsein und Urteilsfähigkeit erwachsen können. Was die Handlungsfähigkeit angeht, sind wir weiterhin skeptisch. Die drei Ebenen sind nun aber keineswegs die selbstverständliche Domäne des Lehrers für Wirtschaft. Die normative Ebene müßte jeder Lehrer des Faches Politik übersehen. Die empirische Ebene verlangt soziologische Kenntnisse, insbesondere solche über Indikatoren der sozialen Lage der Bevölkerung.
Im übrigen ist der Beitrag eines gut ausgebildeten Geographie-Lehrers zur ökonomischen Bildung nicht so marginal wie uns KAMINSKI glauben machen will. Zu Bodenschätzen, Klima, Infrastruktur, Industriestandort-Lehre u.a. kann sich ein Geographie-Lehrer kompetent äußern. Nebenbei bemerkt: in Österreich ist an allgemeinbildenden Schulen "Wirtschaft" Bestandteil des Geographieunterrichts.
KAMINSKI [3] gibt sich nun allerdings mit der Strukturskizze "Wirtschaftsordnung" und dem darin gespiegelten Kreislaufschema (Austauschbeziehungen zwischen Haushalten, Unternehmen und Staat) nicht zufrieden. Offensichtlich ist ihm der Modellcharakter zu offenkundig und er führt zusätzlich sogenannte "Stoffkategorien" ein. Diese von MAY schon 1977 vorgeschlagenen Stoffkategorien stellen das Rohmaterial dar, an dem sich eine Wirtschaftslehre zu orientieren hätte. Wir geben die 33-Felder-Matrix verkürzt wieder. [/S. 187:]
Wirtschaftliches Handeln ist angeblich:
| Die Akteure in diesem Handlungsfeld sind
jene vertrauten "Wirtschaftssubjekte": Private Haushalte Unternehmen Staat |
Die elf Handlungsattribute werden mit den drei Wirtschaftssubjekten gekreuzt und in den entstehenden 33 Feldern finden sich die "Stoffkategorien" einer Wirtschaftslehre. Unsere Kritik an dem zunächst rein formalen Kategorienschema verweist auf die Unspezifität der Handlungsattribute. Mit Ausnahme der Gewinnorientierung, einer für kapitalistische Wirtschaftssysteme allerdings fundamentalen Handlungsmaxime, sind alle anderen Attribute Universalien menschlichen Handelns und keineswegs typisch für wirtschaftliches Handeln. Die Partizipation an der Kunst, am demokratischen Gemeinwesen, auch die sozialen Beziehungen in Partnerschaften unterliegen den genannten Kriterien. Unterzieht man den Kriteriensatz einer logischen Analyse, stellt man fest, daß es sich gar nicht um diskrete Handlungstypen handelt, sondern daß einige Handlungen nur Komplemente einer anderen sind: Knappheitsbedingt handeln wir nur, wenn (unendlicher) Bedürfnisdruck vorausgesetzt wird. Entscheidungszwang tritt nur auf, wenn die Handlungsfolgen risikobehaftet sind. Angesichts totaler Gewißheit besteht keine Entscheidungsnotwendigkeit. Arbeitsteilung, eine metaökonomische Konstante, schafft Interdependenz und Koordinationsbedarf. Ob Ungleichheit konfliktauslösend wirkt oder Konflikte in Ungleichheit einmünden, sei hier einmal dahingestellt. Die Kreislaufmetapher schließlich ist ein unzulängliches Erklärungsmodell für wirtschaftliches Handeln. Ihre Erklärungsschwäche besteht in der Annahme, die Wirtschaftssubjekte seien etwa gleich potent. Physikalisch gesprochen, müßte beispielsweise die Omnipotenz des Staates in einer zentralen Verwaltungswirtschaft infolge der Zentrifugalkräfte die Kreisbahn sprengen.
Die Hyperaggregate: Privathaushalte, Unternehmen, Staat, in der Sprache der Modellbauer auch "Wirtschaftssubjekte" genannt, nivellieren scheinbar die extremen Unterschiede im wirklichen Leben: Diese müssen hier nicht abermals nachgewiesen zu werden. Bei den Haushalten und bei den Unternehmen gibt es Unterschiede, die nur in Zehnerpotenzen ausgedrückt werden können und auch der Einfluß des Staates variiert weltweit zwischen "Bananenrepublik" und hochbürokratisiertem Versorgungsstaat.
Der formale Rahmen zur Bestimmung der sogenannten Stoffkategorien eines Schulfaches Wirtschaftslehre ist also über einen z.T. unstimmigen Begriffsrealismus nicht hinausgekommen. Wir betrachten aber dennoch einige der Inhalte jener 33 Matrixfelder. [/S. 188:]
Feldinhalt | Schnittbereich |
"Optimale Allokation der Ressourcen" "Konsumwahl, Berufswahl, Freizeitverhalten" "Wahlen, Gesetze zur Regulierung des Wirtschaftsgeschehens,(Hierarchie)" "Verflechtung zwischen Betrieben (Zulieferbetriebe)" | Schnittbereich: Unternehmen / knappheitsbedingt Schnittbereich: Haushalt / entscheidungsbestimmt Schnittbereich: Staat / koordinationsbedürftig Schnittbereich: Unternehmen / interdependent |
Die auf diese Weise ermittelten "Stoffkategorien" liegen allesamt auf der Ebene solcher Gemeinplätze. KAMINSKI präsentiert sie auch nicht als Schulcurriculum, sondern führt ein weiteres Selektionsinstrument ein. Er spricht von "Bildungskategorien", die nunmehr als Sonde jene Inhalte bestimmen, die der Lehrer schließlich zu lehren hätte. Acht solcher Bildungskategorien werden sinngemäß wiedergegeben:
(KAMINSKI, a.a.O. [1] Teil II, S. 4 ff)
Diese "Bildungskategorien" sind leider wenig hilfreich, wenn es um den entscheidenden Schritt geht, nun endlich das Versprechen einlösend, den Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung zu bestimmen. Die 33 Stoffkategorien sind doch expressis verbis als der Zusammenhang von wirtschaftlicher Realität vorgestellt worden. Jetzt muß noch einmal ihre Eignung für das Offenlegen von wirtschaftlichen Zusammenhängen nachgewiesen werden. Die über den Tag hinaus reichende Bedeutsamkeit (eines Stoffes) ist selten mit dem Aktualitätspostulat vereinbar. Die potentielle Betroffenheit der Schüler als bildungsbedeutsam zu deklarieren, ist als Auswahlkriterium unstrittig. Sie gibt aber unserem Verdacht neue Nahrung, daß in den Stoffszenarien Bestände lagern, die weder faktisch noch potentiell eine Betroffenheit der Schüler erzeugen. Schließlich findet das Auswahlkriterium: Eignung der Stoffe für das Erlernen von Verhaltensweisen in (wirtschaftlichen) Situationen unsere ungeteilte Zustimmung.
Leider erweitert KAMINSKI die 33-Felder-Matrix nicht zu einer dreidimensionalen mit dann 8 mal 33 = 264 Feldern. Hier würde sich zeigen, daß allein die beiden Kriterien: "Potentielle Betroffenheit" der Schüler und "handlungsanleitendes Potential" des Stoffes, zur Aussonderung der meisten "Stoffkonstrukte" führen müßte. [/S. 189:]
Seine Glaubwürdigkeit setzt KAMINSKI allerdings mit folgenden Ausführungen aufs Spiel. Unter Berufung auf PIAGET, GALPARIN, LEONTIJEW und AEBLI erinnert er an das Primat der Handlung für menschliche Erkenntnisprozesse. Hier findet er unsere ungeteilte Zustimmung. Kühn wirkt jedoch die Behauptung, das Fach Wirtschaft sei in besonderer Weise geeignet, "ganzheitliches Lernen" zu befördern.
"Die anthropologische Einsicht, daß konkretes Handeln eine unabdingbare Bedingung menschlicher Entwicklung ist, und Kopf, Herz und Hand, Denken und Handeln, körperliche, geistige und seelische Entwicklung zusammengehören, muß Konsequenzen auch für die Entwicklung eines Lernkonzeptes der ökonomischen Bildung haben. ........Auch für das Fach Wirtschaft lassen sich 'Lernwerkstätten' für ganzheitliche Lernprozesse entwickeln, die in besonderer Weise geeignet sind, theoretische und praktische Unterrichtsteile miteinander zu verknüpfen."
(KAMINSKI, a.a.O. [1] Teil II, S. 6)
Das Fach Wirtschaft, wo immer es Eingang in die allgemeinbildende Schule fand, ist ein unrühmliches Beispiel für einen Arbeitsbogen- und Frontalunterricht. Wir werden dem weiter hinten mit der Analyse von Unterrichtsbeispielen noch nachgehen. Simulationsverfahren sind das alles dominierende Muster der Wirtschaftslehre. Lernbüros und Warentests, um zwei der effektivsten methodischen Arrangements in der Arbeitslehre zu nennen, sucht man in den Wirtschaftslehre-Konzepten der Bundesländer vergeblich.
KAMINSKI beklagt, daß es bislang kein "Gesamtkonzept der ökonomischen Bildung für die Klassen 1 bis 13" gab. (!). Er macht sich anheischig, dieses in Ansätzen vorgelegt zu haben. Darüber hinaus unterstreicht der Autor immer wieder, wie notwendig es sei, auf Eltern, Lehrer, Parteien, Verbände und die Ministerialbürokratie einzuwirken, damit der ökonomische Bildung zum Durchbruch verholfen werde. (KAMINSKI, a.a.O. [1] und passim)
Die Arbeitslehre, von der wir meinen, daß sie die bessere Wirtschaftslehre sei, hat es bisher versäumt, sich gegen die außerordentlich hegemonialen Aktivitäten der Wirtschaftslehrevertreter zu wehren. Als Beleg für einschlägige PR-Arbeit mag folgender Hinweis dienen: Bereits in zweiter Auflage erschien das Buch von H. MAY: "Ökonomie für Pädagogen". Es handelt sich um eine sehr konventionelle Stoffsammlung, die eklektisch aus wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt wurde. Jedes Kapitel schließt mit "Kontrollfragen" ab, die reinen Reproduktionscharakter haben und nicht den Ansatz didaktischen Problembewußtseins erkennen lassen. (MAY 1994 [1]). Das Buch wurde dann von einem großen Wirtschaftsunternehmen als Geschenk an viele pädagogische Einrichtungen verteilt.
Als nächstes skizzieren wir den Ansatz einer sogenannten "ökonomischen Verhaltenstheorie", der uns vielleicht von der Ungewißheit erlösen kann, die sich nach dem Studium von Strukturmodellen und Bedürfnistheorien einstellte. Noch immer können wir nicht verbindlich sagen, was die Ziele einer Wirtschaftslehre sein sollen. KROL [5], dessen Arbeiten hier schon deshalb auf Interesse stoßen, weil sie alle wirtschaftlichen Prozesse auf das Handeln von Individuen zurückführen, fragt nach der Beeinflußbarkeit des Handelns, mithin eine genuin pädagogische Fragestellung. (KROL 1995 [1])
"Zentraler Bestandteil eines solchen Bezugsrahmens muß eine empirisch gehaltvolle Theorie sein, die nicht nur tragfähige Erklärungen für sozial, wirtschaftlich, ökologisch etc. problematische Verhaltensmuster , sondern auch empirisch gehaltvolle Aussagen über gangbare oder erfolgversprechende Wege zur Veränderung der Verhaltensmuster zu liefern vermag. Hieran mangelt es gegenwärtig in den einschlägigen [/S. 190:] Bildungs- und Unterrichtskonzepten, in denen die Förderung der Einsicht in 'gesollte Zustände' mit der größtmöglichen Förderung ihrer Realisierung gleichgesetzt wird. Eben hierin liegt ein systematischer Irrtum."
(KROL a.a.O. [1], S.19, Hervorhebung: G.R.)
KROL subsumiert dem ökonomischen Verhalten eines Individuums dessen Handeln und Unterlassen, seine Urteilsbildungen und Entscheidungen. Letztere können bewußt und reflektiert ablaufen, aber auch Gewohnheitsverhalten, etwa täglich wiederkehrende Routineeinkäufe, rechnen dazu. Alle diese Verhaltensphänomene erklären sich aus Präferenzen die das Individuum hat. Präferenzen müssen aber stets an Restriktionen gespiegelt werden, die nicht hintergehbar sind. Weil die Entstehung von Präferenzen schwer rekonstruierbar ist und letztlich etwas mit individueller Freiheit zu tun hat, konzentriert sich die ökonomische Verhaltenstheorie vorrangig auf die Untersuchung der Restriktionen. Zu diesen rechnen das verfügbare Einkommen, der Zeitaufwand für Informationsbeschaffung, die physisch/ psychische Belastbarkeit, Gesetze und Verordnungen, Normen und Werte.
Das Spektrum von Präferenzen eines wirtschaftlich handelnden Subjekts hat eine Wurzel: den Eigennutz. KROL legt Wert auf die Feststellung, daß dieses Eigennutzaxiom zwar häufig zur moralischen Verurteilung ökonomischen Verhaltens geführt hat, gleichwohl in dieser Pauschalisierung abzulehnen ist, denn Eigennutzverfolgung geht nicht zwangsläufig mit der Benachteiligung anderer Subjekte einher.
Präferenzen und Restriktionen führen dazu, daß sich Individuen ständig entscheiden müssen. Die Präferenz von 'A' schließt die Abwahl der Alternative 'B' ein. Damit entstehen aber sogenannte Opportunitätskosten, eigentlich nicht erzielte "Gewinne". Ein Jugendlicher, der sich für schnelles Geldverdienen nach der Schule entscheidet, verzichtet auf eine längere Ausbildung und vermutlich auf ein insgesamt höheres Lebenseinkommen. Ein Verbraucher, der dem verbraucherpolitischen Imperativ folgend, eigentlich vor jede Kaufentscheidung gründliche Such- und Informationsprozesse schalten müßte, verzichtet darauf, weil ihm die Restriktionen in Form des Zeit- und Kraftaufwandes zu hoch erscheinen. Für KROL sind besonders Verbraucher- und Umwelterziehung typische Felder, auf denen das Ziel der Verhaltensänderung systematisch verfehlt wird. Der pädagogische Ansatz versucht vorrangig die Präferenzen zu ändern, was oft über moralische Einflußnahme geschieht.
Ziel einer ökonomischen Bildung wäre es, das Wissen um Restriktionen zu erweitern, weniger, Einfluß auf die Präferenzen nehmen zu wollen.
Die fast ungeteilte Akzeptanz sozialer Normen im Bereich des Umweltschutzes verleitet zu dem Irrtum, die Individuen handelten tatsächlich auch umweltverträglich. Die Präferenz für eine soziale Norm kann deutlich ausgeprägt sein, ja, sie ist im Falle des Umweltschutzes auch ausgesprochen rational, denn wenn sich alle umweltverträglich verhalten, profitiere ich davon. Wenn ich mich jedoch umweltverträglich verhalte, nehme ich u.U. deutliche Restriktionen in Kauf, etwa erhöhte Kosten, Arbeitsaufwand und Verlust an Bequemlichkeit. Dies führt in sehr vielen Fällen zu einer Präferenzwahl, die inkompatibel mit der Präferenz für eine soziale Norm "Umweltschutz" ist. Die genaue Analyse möglichst aller Restriktionen, auch solcher, die der ökonomisch Handelnde im Moment nicht übersieht, ist Aufgabe einer ökonomischen Verhaltenstheorie. Aber auch die Frage nach der Überwindung von Restriktionen ist bedeutsam, ob es möglich ist institutionelle, technische, organisatorische Verbesserungen durchzusetzen, die es dann erleichtern, die gesollten Präferenzen auch zu wählen.
Die "ökonomische Verhaltenstheorie", die hier nur sehr grob skizziert werden konnte, läßt in der Tat Konturen eines jugendgemäßen Unterrichts aufscheinen. Ein systematischer [/S. 191:] Einwand bleibt jedoch bestehen: Diese Theorie ist nur sehr bedingt eine ökonomische. Zu viele allgemein anthropologische Parameter müssen eingeführt werden (Bequemlichkeit, Belastbarkeit, Freizeit). Die Biografie eines jeden Menschen ist die Abfolge von Kontingenzpunkten, man hätte sich so oder anders entscheiden können. Damit eine Biografie entsteht, muß man sich entscheiden. Ein solches kontingentes Denken würde allen Schulfächern zum Vorteil gereichen. Ein eigenes Fach Wirtschaftslehre läßt sich damit nicht legitimieren.
NEUMANN/DRÖGE [1] propagieren eine "arbeitsorientierte Wirtschaftslehre" Das Begriff "arbeitsorientierte Bildung" hat in jüngster Zeit Konjunktur (vergl.: DEDERING 1996 [1]). Zum einen handelt es sich um einen Reflex auf die immer noch dominierende philologische Bildung, zum anderen ist es der untaugliche Versuch, die Auflösung der Arbeitslehre-Idee zu verhindern, ohne die Partikularfächer mit dem ungeliebten Begriff Arbeitslehre zu verprellen.
NEUMANN/DRÖGE stellen zunächst klar, daß es bei ihrem Ansatz nicht um den Austausch der Kapitalorientierung durch eine Arbeitsorientierung ginge. Die klassischen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen kennen bekanntlich die drei niemals gänzlich zu substituierenden Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Boden. Daß schulische Wirtschaftslehren dazu neigen, die Kapitalorientierung zu betonen, haben schon 1974 REETZ/WITT [1] in ihrer bekannten Schulbuchanalyse nachgewiesen. Der Terminus "Arbeitgeber" kommt signifikant häufiger vor als der des "Arbeitnehmers". Bemerkenswert ist die Tatsache, daß NEUMANN/DRÖGE ihr Wirtschaftslehrekonzept auf kaufmännische Berufsschulen hin entwerfen, also auf eine Schule, deren Klientel nach Meinung der Autoren bislang einen wirklich bildungswirksamen Unterricht entbehren mußte. Träfe diese Analyse zu, ist es nicht mehr verwunderlich, daß die allgemeinbildende Schule ohne ein stimmiges Theoriekonzept für Wirtschaftslehre auskommen muß.
"Gerade wenn es darum geht, die den Arbeitstätigkeiten zugrundeliegenden technischen, ökonomischen sozialen, ökologischen Bedingungen und Grundstrukturen zu erfassen, dann sind die dazu in der Wirtschaftslehre akkumulierten und tradierten Wissensbestände wenig geeignet. Dazu - das haben die Analysen gezeigt - fehlen der Wirtschaftslehre die übergreifenden Fragestellungen, die ökonomische, soziale und ökologische Sachverhalte miteinander verknüpfen. Und selbst im Ökonomischen stehen institutionenkundliche, synoptische und verfahrenstechnische Aspekte, aber auch thematische Verengungen so sehr im Vordergrund, daß damit keine aussichtsreichen kognitiven Muster für die Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge und zur Interpretation der eigenen Arbeitsrolle zur Verfügung stehen."
(NEUMANN/DRÖGE 1996 [1], S. 460)
Wir können hier die arbeitsorientierte Wirtschaftslehre nach NEUMANN/DRÖGE nicht im einzelnen nachzeichnen. Für unsere Argumentation verdient es jedoch festgehalten zu werden, daß die Autoren einen Orientierungsrahmen vorschlagen, in dem in Anlehnung an die KRAPPMANNsche Rollentheorie (KRAPPMANN 1975 [1]) ein dreifaches Rollenhandeln erkenntnisleitend zu sein habe: Die Funktionsrolle im Betrieb, das heißt also technische und kommunikative Fähigkeiten erwerben, besitzen, modernisieren. Die Arbeitnehmerrolle, welche erlaubt, Interessenkonflikte auszuhalten, Solidarisierungschancen wahrzunehmen, betriebliche Strukturen zu durchschauen. Die Konsumentenrolle, die auch befähigt, Konsummuster zurückzuweisen, Konsumentenbeeinflussung zu durchschauen, Verbraucherrechte zu kennen.
Diese Trias findet sich in ähnlichen Formulierung in allen bisher veröffentlichten Arbeitslehrekonzepten. Es ist schon erstaunlich, daß das Nachdenken über die [/S. 192:] (professionelle) Unterweisung wirtschaftlich handelnder Individuen zu arbeitslehreähnlichen Vorschlägen führt.
Wenden wir uns nun dem "Paradigmawechsel" in der schulischen Wirtschaftslehre zu. Nach KUHN [6] führen paradigmainterne Anomalien eines alten Paradigmas zum Wechsel. Unter Paradigma soll die prinzipielle Übereinstimmung verstanden werden, die in einer Scientific Community herrscht, wenn es um allgemeine Theorien, Erklärungen und Hypothesen geht, ohne daß in Einzelfragen schon Konsens bestünde. Ein Paradigmawechsel zeigt Veränderungen in statu nascendi an, wobei eine gemeinsam geteilte Interpretation der Scientific Community noch aussteht. (KUHN 1976 [1])
LACKMANN [2] spricht von einer "alten Ökonomie" und einer "neuen Ökonomie". Das Ende der alten Ökonomie wird markiert durch das Menetekel einer unausweichlichen Katastrophe, wenn die ökologischen Grenzen ökonomischen Handelns nicht viel genauer bestimmt werden.
" Alles, was die Menschen der Industriegesellschaft heute tun, läßt die natürlichen und sozialen Netze ihres Zusammenwirkens vibrieren - wesentlich stärker als in früheren Gesellschaften, weitgehender und heftiger, als es sich die meisten Menschen vorstellen können oder verantworten möchten. Die Zeit der einfachen Normen, der vernachlässigten Nebenwirkungen und der weggekehrten Konfliktstoffe ist vorüber. Eine Berücksichtigung der ökologischen Dimension des ökonomischen Handelns aller Wirtschaftssubjekte tut Not."
(LACKMANN 1996 [1], S.38)
LACKMANN unterstreicht, daß "herkömmliches ökonomisches Denken" nicht darauf gerichtet ist, Aufwand und Ertrag möglichst objektiv zu vergleichen. Es geht vielmehr darum - und darin liegt der feine Unterschied -,dieses Verhältnis so günstig wie möglich zu gestalten. Dies führt zu den bekannten Effekten, daß wirtschaftlich Handelnde objektive "Kosten" auf Dritte abwälzen. Auf die Natur, indem diese verunreinigt und belastet wird, auf den Steuerzahler, in der Hoffnung, der Staat werde die schlimmsten Schäden mit öffentlichen Mitteln reparieren, auf den Konsumenten, der möglicherweise durch schadstoffbelastete Lebensmittel krank wird.
Die meisten wirtschaftlichen Entscheidungsträger (LACKMANN schließt die Konsumenten ausdrücklich ein) beruhigen ihr Gewissen mit der Hoffnung, der wissenschaftlich-technische Fortschritt werde für die in die Zukunft verschobenen Folgen des verantwortungslosen Handelns noch Lösungen finden. Eine solche Hoffnung dürfte tatsächlich unbegründet sein, wenn die auf Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung fixierten Wirtschaftssubjekte nicht einen Paradigmawechsel vollziehen.
LACKMANN übernimmt das von BUDDENSIEK entwickelte Schaubild, das in prägnanter Form den Paradigmawechsel veranschaulicht. [/S. 193:]
[im Original folgt hier das Schaubild: "Vom ökonomischen Wachstums- zum ökologischen Begrenzungsparadigma", übernommen aus: Buddensiek, Wilfried (1988) [1]: Wende-Pädagogik. Auf der Suche nach einer ökologischen Umwelterziehung. Paderborn, vervielf. Manuskript, S. 32; abgedruckt in: Lackmann, Jürgen (1996): Das Lernfeld Arbeitslehre als fachdidaktisches Problem. Spezifika des Gegenstandsbereiches Wirtschaft (Weingartener Beiträge zur Arbeitslehre). Pädagogische Hochschule Weingarten, ISBN 3-924945-24-1. Bezug der Publikation von J. Lackmann über: PH Weingarten, Forschungsstelle für politisch-gesellschaftliche Erziehung und Arbeitslehre, Kirchplatz 2, 88250 Weingarten, http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/publikationen.htm [7] ; Anm. der sowi-online-Redaktion]
Nun dürfte es nicht schwer sein, ökologische "Begrenzungsparadigmen", z.B. das Recyclingmodell, genauso als Modellplatonismus zu denunzieren wie die schon etwas abgenutzten Marktschemata der Wirtschaftslehre. Ein Recycling ad infinitum ist derzeit nicht vorstellbar. Jeder Aufbereitungszyklus wirkt nutzenmindernd. Die Abfallproblematik ist also nicht prinzipiell lösbar, wohl aber deutlich zu entschärfen. Die drei zentralen Ansätze einer ökonomischen Umorientierung haben unterschiedliche Realisierungschancen:
Nach unserer Einschätzung nimmt der utopische Charakter der drei Punkte von oben nach unten ab. Der erste Programmpunkt wird schon durch die Entwicklung der Weltbevölkerung auf längere Sicht verhindert. Der zweite Punkt kann empirisch mit Erfolgsnachweisen gestützt werden: ein Auto benötigt heutzutage etwa nur die Hälfte des Treibstoffes wie vor 20 Jahren. Die Zunahme der Motorisierung sorgt jedoch dafür, daß die Gesamttendenz erhalten bleibt, in einigen Fällen sich sogar verschärft. Was die Kreislaufprozesse in stoffwirtschaftlicher Hinsicht angeht, sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Eine Reihe von Einweg-Prozessen wurde auf zyklische Prozesse umgestellt, die gleichwohl finalen Zuschnitt haben.
Um nun die "Ökologisierung" einer schulischen Wirtschaftslehre nicht nur als Paradigmawechsel gewissermaßen zu verkünden, müssen wir fragen, ob halbwegs überzeugende Theorieansätze vorliegen. Schon auf den ersten Blick verstärkt sich der Eindruck, daß eine gesteigerte Umweltproblematik (diese wollen wir nicht mehr grundsätzlich in Zweifel ziehen) eigentlich alle Schulfächer betrifft. Skeptiker, die begründet einwenden, alle Erziehungsprogramme, die fächerübergreifend implementiert werden sollten, hatten keinen oder mäßigen Erfolg, fordern vielleicht deshalb eine stark ökologisch orientierte Wirtschaftslehre oder gehen so weit, Ökonomie durch Ökologie zu ersetzen.
LUHMANN hat versucht, auf die Frage: "Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?" (LUHMANN 1990 [1]) eine Anwort zu finden. Die Ausführungen des Systemtheoretikers sind erwartungsgemäß auf einem Abstraktionsniveau gehalten, das Schulpraktiker enttäuschen muß. Wir wollen dennoch versuchen, eine Transformation auf pädagogisches Handeln anzudeuten. Für Systemtheoretiker ist Gesellschaft als Ganzes nur beschreibbar als Kommunikationszusammenhang, der auf Sinngebung basiert. Für das Gesellschaftssystem ist Natur Umwelt. Und da sich Systeme allein über die Differenz System-Umwelt definieren, werden Mystifikationen oder pantheistische Vorstellungen von der Art, die menschliche Gesellschaft und die Natur seien eins, nicht ernsthaft diskutiert. Desgleichen wird die Hoffnung auf eine wie immer erneuerte oder diskursiv zu schaffende Moral der Gesellschaft skeptisch beurteilt. LUHMANNs Hauptthese besagt, daß die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft, namentlich das Politische System, das Wirtschaftssystem, das Rechtssystem, das Erziehungssystem, das Wissenschaftssystem - um nur die wichtigsten zu nennen - mit Resonanz auf Störungen der Umwelt reagieren. Wobei gesehen werden muß, daß für alle Systeme die Natur Umwelt ist, die einzelnen Systeme aber füreinander ebenfalls Umwelt sind. Auf der Ebene der Funktionssysteme der Gesellschaft gilt das Gleiche, was für die Gesamtgesellschaft gilt: das Aufrechterhalten der Systemgrenzen entscheidet über die eigene Existenz. Ökologische Gefahren werden von diesen Systemen zunächst als Rauschen wahrgenommen, können dann jedoch Resonanz erzeugen, was in der Sprache der Systemtheorie nichts anderes bedeutet, als die Kommunikationsstrukturen zu verändern.
"Jedenfalls haben wir heute davon auszugehen, daß die Resonanz auf ökologische Gefährdungen im wesentlichen durch diese Funktionssysteme erzeugt wird und nicht, oder nur sekundär, eine Sache der Moral sein kann. Oder um es noch schärfer zu sagen: Funktionssysteme wie Politik oder Wirtschaft, Wissenschaft oder Recht werden bei hoher Eigendynamik und Empfindlichkeit durch Umweltprobleme [/S. 195:] gestört. Dies geschieht teils direkt, wenn etwa Ressourcen versiegen oder Katastrophen drohen; teils aber auch indirekt über gesellschaftlich vermittelte Interdependenzen, wenn etwa die Wirtschaft sich gezwungen sieht, auf Rechtsvorschriften zu reagieren, die die Politik dem Recht aufgezwungen hat, obwohl die Wirtschaft ohne diese Vorschriften nach ihren Eigenbegriffen bessere ökonomische Resultate erzielen würde."
(LUHMANN 1990 [1], S.97)
In unserem Zusammenhang ist es wichtig, daß wir kurz auf die systemtheoretische Analyse zweier Funktionssyteme der Gesellschaft eingehen: auf das Wirtschaftssystem und auf das Erziehungssystem. LUHMANN "entideologisiert" das Wirtschaftssystem indem er es auf seinen binären Code zurückführt, der da lautet Eigentum oder Nicht-Eigentum beziehungsweise in modernen Geldwirtschaften: zahlungsfähig oder -unfähig.
"Aufgrund ihrer monetären Zentralisierung ist die Wirtschaft heute ein streng geschlossenes, zirkuläres, selbstreferentiell konstituiertes System insofern, als sie Zahlungen vollzieht, die Zahlungsfähigkeit (also Gelderwerb) voraussetzen und Zahlungsfähigkeit schaffen. Geld ist insofern ein vollständig wirtschaftseigenes Medium: es kann weder als Input aus der Umwelt eingeführt noch an die Umwelt abgegeben werden; es vermittelt ausschließlich die systemeigenen Operationen."
(LUHMANN, a.a.O. [1], S.103)
Für LUHMANN liegt der Schlüssel des ökologischen Problems, soweit die Wirtschaft betroffen ist, bei den Preisen. Alles was in der Wirtschaft geschieht, wird durch den Preismechanismus gefiltert. Auf Störungen (z.B. ökologische Gefährdungen) kann das Wirtschaftssystem nicht reagieren, es sei denn durch Preisbildung. Darin beschlossen ist der Verzicht auf andere Möglichkeiten, etwa auf Erziehungsprogramme, die nicht letztlich als Kosten erscheinen. Wenn allerdings das Umweltproblem in Preisen ausgedrückt werden kann, muß es im Wirtschaftssystem bearbeitet werden. Mit dieser einfachen Strukturskizze wird immerhin deutlich, daß einer Ökologisierung der Ökonomie sehr enge Grenzen gesetzt sind.
Zum Erziehungssystem äußert sich LUHMANN in der bereits oben erwähnten Weise. Dessen systemstabilisierender Code lautet: Anforderungen erfüllt oder nicht erfüllt. Das immer mitlaufende Schema in allen Schulen und Hochschulen ist Selektionszwang. Die übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme verlassen sich darauf. Die pädagogischen Programme können mehr oder weniger fortschrittlich sein, sie können großes ökologisches Engagement zeigen oder Formaldefinitionen bevorzugen (wie im Falle einer konventionellen Wirtschaftslehre), vom Selektionszwang werden sie nie suspendiert. Ungeachtet dieser Restriktionen sieht LUHMANN im Erziehungssystem relativ große Chancen für eine Stimulierung der gesellschaftlichen Kommunikation. Allerdings dürfen die Zeithorizonte nicht unterschätzt werden.
"Denn das Erziehungssystem wirkt unmittelbar nur auf eine besondere Umwelt des Gesellschaftssystems, nämlich die körperlichen und mentalen Befindlichkeiten von Menschen. Sollen davon Wirkungen im Gesellschaftssystem ausgehen, muß diese Umwelt wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken, das heißt: kommunikativ angeschlossen werden können. Das Erziehungssystem bietet somit für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation die vielleicht größten Chancen - unter der Voraussetzung, daß sich zwei Schwellen der Resonanz überwinden lassen: die des Erziehungssystems selbst und die aller anderen Funktionssysteme der Gesellschaft, in die über Erziehung neue Einstellungen, Werthaltungen und Problemsensibilitäten eingeführt werden sollen."
LUHMANN a.a.O. [1], S. 200) [/S. 196:]
Wir können diese Einschätzung nur bestätigen. Auf den ersten Blick scheint die Resonanz des Erziehungssystems auf ökologische Gefährdungen sehr stark zu sein. Jüngere Lehrer an Gesamtschulen dürfen aber nicht als pars pro toto herhalten. Das Erziehungssystem besteht auch (zunehmend) aus älteren Lehrern, aus Seminarleitern, Schulräten, leistungeinfordernden Eltern und eben aus auf Lehrbuchökonomie fixierten Fachvertretern. Deshalb ist es gar nicht so einfach, die Resonanz des Erziehungssystems als Ganzes richtig einzuschätzen. Sehr viel höher dürfte die andere Schwelle angelegt sein, denn nach dem Übergang vom Erziehungssystem in die anderen Teilsysteme der Gesellschaft müssen Jugendliche, resp. junge Erwachsene oft schmerzlich die Grenzen ihrer Kommunikationsabsichten erfahren.
Im Anschluß an LUHMANN hat KAHLERT die umweltpädagogische Literatur genauer analysiert. (KAHLERT 1991 [1]). Er konstatiert erhebliche "Theoriedefizite" in dieser Kommunikation, so daß der angekündigte Paradigmawechsel noch keineswegs als vollzogen gelten kann, ja, daß es möglicherweise verfrüht ist, von einem solchen zu sprechen.
Für KAHLERT ist die umweltpädagogische Diskussion noch immer weitgehend bestimmt durch eine Differenz zwischen der "guten Gesinnung" der Umweltpädagogen einerseits und der Fehlleitung der Menschen bzw. der Gesellschaft. Leider sind Aussagen über die Gesellschaft genauso wenig erkenntnisfördernd wie die Einführung eines Kollektivsubjekts: die Menschen gelten bei vielen Autoren der umweltpädagogischen Literatur als anthropozentrisch verblendet, sie beuteten rücksichtslos die Natur aus, orientierten sich einzig am Eigennutzen. Wer so redet, läßt außer acht, daß die Menschen unterschiedliche Informationsstände und intellektuelle Verarbeitungskapazitäten haben, sehr verschieden am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren, mit mehr oder weniger Einfluß ausgestattet sind, und - wie KAHLERT bemerkt - damit auch die Möglichkeiten sehr weit streuen, anders als gewohnt zu konsumieren, zu fahren und zu heizen. (KAHLERT,a.a.O. [1] S.107)
Anstatt den Jugendlichen ein schlichtes Panorama von umweltbesorgten und umweltkriminellen Handlungen zu zeichnen oder - was oft damit einhergeht - eine schon am Abgrund stehende Gegenwart mit einer gerade noch erreichbaren besseren Zukunft zu konfrontieren, müßte das mühsame Geschäft der Ursachenanalyse und Interdependenzaufdeckung betrieben werden. Den Umweltpädagogen wirft KAHLERT vor, wer nicht Grenzwerte für die Luftreinhaltung unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs durchsetzen muß, kann laufend Umweltfeinde in Politik und Wirtschaft entlarven; der kann auch Entsagungen predigen, wenn er, wie die meisten Pädagogen, in der gesellschaftlichen Privilegienverteilung einen ordentlichen Mittelplatz eingenommen hat und für die Wohlfahrtseinbußen der anderen nicht geradestehen muß.
"Mit seiner Schematisierung der Wirklichkeitswahrnehmung nach dem Muster von schlechter Gegenwart und gut zu gestaltender Zukunft sowie mit der emotionalen Beladung dieser Wahrnehmung durch Gegenwartsangst und Zukunftshoffnung füllt der pädagogische Fundamentalismus die Rolle einer säkularisierten Religion aus: Der Fundamentalismus konstituiert eine Gesinnungsgemeinschaft, die auf dem Glauben an ihre Voraussetzungen beruht: Wer nicht daran zweifelt, daß mit 'dem Menschen' und von 'der Gesellschaft' Erkenntnis produziert werden kann, und wer bereit ist zu glauben, daß über das jeweilige Erziehungsprogramm die Zukunft besser wird, der findet in dieser Gesinnungsgemeinschaft Gewißheit und Orientierung in einer vom einzelnen nicht mehr überschaubaren Welt."
(KAHLERT, a.a.O. [1] S.115) [/S. 197:]
Für uns kristallisiert sich die Frage heraus, ob ein Paradigmawechsel vom Schulfach Ökonomie zur Ökologie oder auch nur eine Ökologisierung der Wirtschaftslehre Perspektiven bietet. Umweltpädagogische Analysen könnten den Schluß nahelegen, daß eine Ideologie durch die andere ersetzt werden soll. Wenn bis vor wenigen Jahren die Ökonomie den Schülern als die zwar störanfällige letztlich aber lebenserhaltende Kraft vorgestellt wurde, empfiehlt sich jetzt die Ökologie als der Königsweg aus einem unter anderem ökonomisch verursachten Dilemma.
Unstrittig scheint aber zu sein, daß Umwelterziehung Not tut. Auch KAHLERT bestreitet dies nicht. Eine solche Umwelterziehung muß aber bei den hochkomplexen Abhängigkeitsverhältnisse in gesellschaftlichen Teilsystemen und zwischen diesen ansetzen. Reichweite und Unsicherheit von Prognosen, die Fehlbarkeit von Risikoeinschätzungen, Machtverteilung und unterschiedliche Betroffenheit durch Folgen, das Offenlegen von Sachwissen und Werturteilen, diese und viele andere Reaktionsweisen der gesellschaftlichen Teilsysteme auf Umweltprobleme müssen in der Schule thematisiert werden. Ein Schulfach wäre damit überfordert! Aber nicht nur die Abkehr von allen monokausalen Erklärungsmodellen ist notwendig, es gilt auch, sich zu erinnern, daß es nicht ausreicht, Katastrophen an die Wand zu malen. Wer dies tut, ohne konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, der muß mit Angst, Verzweiflung oder Wut beim Schüler rechnen. Handlungsmöglichkeiten, sofern sie diese Bezeichnung verdienen, sind aber nicht in allen Schulfächern gleichermaßen angelegt. Was Umwelterziehung angeht, sind die Naturwissenschaften, die Fächer Technik und Haushalt bzw. Arbeitslehre, ferner Politik und Geographie prädestiniert.
Die nebulösen Ziele einer schulischen Wirtschaftslehre schienen zunächst durch die "ökologische Wende" an Konturen zu gewinnen. Dies erweist sich bei genauerem Hinsehen als unsicher. Die ökologischen Gefährdungen einer Gesellschaft erzeugen in den gesellschaftlichen Teilsystemen Resonanz. Im Bildungssystem ist diese Resonanz zweifellos registrierbar, was aber nichts über die "Güte" der Resonanz aussagt. Offenbar handelt es sich um eine Wellenlänge, die sehr stark von der vermeintlich rechten Gesinnung angeregt ist. Die Frage bleibt weiterhin offen, wie Jugendliche am besten auf die Probleme einer sich durch Arbeit reproduzierenden Gesellschaft vorbereitet werden können. [/S. 198:]
Wirtschaftslehre soll - dies war auch eine Forderung KAMINSKI [3] s - aktuell sein. Müßte man heute aktuelle Wirtschaftsfragen benennen, käme einem sofort die Europäische Währungsunion in den Sinn. Für viele Bürger ist die Vorstellung, in naher Zukunft kein deutsches Geld mehr in der Hand zu haben, statt dessen einen "Euro", mit gemischten Gefühlen verbunden. BÖNKOST [8] geht sogar soweit, das Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion von der ökonomischen Bildung der Europäer abhängig zu machen. (BÖNKOST 1996 [1]). Anfang der 60er Jahre führte SCHMIDTCHEN eine Untersuchung in der Bundesrepublik durch, die den Kenntnisstand der Bürger in Wirtschaftsfragen ermitteln sollte. Ein Ergebnis war, daß fast 90 Prozent der Befragten den Begriff Marktwirtschaft falsch oder unbefriedigend definierten. Dieselben Bürger hatten gerade das sogenannte Wirtschaftswunder vollbracht. (SCHMIDTCHEN 1965 [1])
Eine solche Randnotiz will keineswegs die These vorbereiten, daß nur "wirtschaftlich unverbildete" Bürger ökonomisch erfolgreich sein können. Offenbar gibt es aber außerökonomische Bestimmungsstücke, die Prosperität bzw. Konjunkturperioden erklären können. Die Nachkriegsgeneration etwa hatte eine hohe Arbeitsmoral, war gleichzeitig genügsam und sparwillig. Da konnte selbst ein mangelhafter Kenntnisstand über Marktmechanismen das Anlaufen eines Wirtschaftswunders nicht verhindern. Nachdem der Investitionsgüter-Sektor florierte, folgte auch eine Zunahme der Konsumlust.
Man fragt sich, ob eine kognitive Verarbeitung der recht komplizierten Probleme der europäischen Währungsunion eine Voraussetzung für ihr Gelingen ist. Wenn alle Wirtschaftseuropäer Bescheid wüßten, warum die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten eine bestimmte Marke nicht überschreiten darf, und wie die Kontrollmechanismen aussehen könnten - wäre damit viel gewonnen? Ist es nicht vielmehr so, daß nationale Vorurteile, die nachweislich existieren, abgebaut werden müssen. Sollten nicht für die Jugend Europas Aufenthalte in den Mitgliedstaaten während der Schulzeit die Regel sein? Damit würden Vertrauen, Verständnis für Unterschiede, die Wertschätzung regionaler Produkte usw. sich entwickeln. Derlei Voraussetzungen könnten Europa wahrscheinlich besser befördern als die in Schulstuben gewonnenen wirtschaftstheoretischen Einsichten.
Wenden wir uns nun, der begonnenen Systematik folgend, den veröffentlichten Unterrichtsdokumentationen zu. Anders als beim Schulfach Technik ist die Zahl der publizierten Materialien im Kontext eines Schulfaches Wirtschaft verhältnismäßig groß. Und natürlich spielt das Thema Europa eine Rolle. (Der Unterricht mit wirtschaftskundlichen Inhalten muß nicht in einem gleichnamigen Fach abgelaufen sein, es kann sich auch um Unterricht im Fach Gesellschaftslehre bzw. Politische Bildung handeln.)
Eine allgemeine Methodenlehre, wie sie WILKENING für das Fach Technik versucht hat, gibt es ansatzweise auch für die Wirtschaftslehre. KOLB veröffentlichte seine "Methoden der Arbeits-, Wirtschafts - und Gesellschaftslehre" allerdings schon 1978. In dem Band sind drei Methodenkomplexe getrennt behandelt. Einen großen Raum nehmen die Simulationsverfahren ein (Fallstudie, Planspiel, Rollenspiel). Es folgen die Realbegegnungen, worunter Betriebspraktika und Betriebserkundungen zu verstehen sind. (Die Bezeichnung "Realbegegnung" ist eine unglückliche Wortwahl; haben die anderen Methoden etwas mit dem Irrealen zu tun?) Den dritten Komplex bilden die Projekte, die natürlich, sofern sie die Bezeichnung verdienen, etwas mit Realität zu tun haben.
In der Methodenlehre von KOLB sind es die Simulationsverfahren, die wirtschaftskundliche Inhalte im engeren Sinne vermitteln sollen. Betriebspraktika und Betriebserkundungen sind [/S. 199:] fachunabhängige Lernortwechsel. Wie wir gesehen hatten, werden sie auch vom Fach Technik eingesetzt und natürlich haben sie in der Arbeitslehre eine lange Tradition. Bei KOLB finden sich unter der Überschrift "Projekte" nur Beispiele aus dem Bereich Technisches Werken und Arbeitslehre, so z.B. zwei Projekte von BLÖDORN/BÜTTGEN/REUEL aus den 70er Jahren.
Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas an dem Umstand geändert, daß Wirtschaftslehre in den meisten Fällen mit Simulation zusammenfällt. Wir gehen deshalb kurz auf das Charakteristische dieser Verfahren ein. Fallstudien sind Szenarien, die vorgestellt werden und zur Weiterentwicklung die Entscheidung zwischen mehreren Alternativen provozieren. Nach einer Informationsphase müssen sich die Schüler entscheiden und die Entscheidung gegenüber anderen Schülern vertreten. Bei etwa gleichplausiblen Entscheidungsvarianten kommt auch ein interessanter Meinungspluralismus zustande.
Eine der "klassischen" Fallstudien ist die von KAISER [9]: Der Hof des Landwirts T. ist unrentabel" (KAISER 1972 [1]) Nach Schilderung der Lage des Landwirtes werden fünf Alternativen angeboten:
Rollenspiele gehen davon aus, daß zu einem gegebenen Sachverhalt die Träger von Rollen auch rollenspezifische Einstellungen haben. Schüler übernehmen versuchsweise die Rolle von Menschen, die wesentlich älter, einflußreicher, hilfsbedürftiger, krimineller usw. als sie selbst sind. Sie projizieren vermutete Wert- und Vorurteile, Kenntnisse und Attitüden in dieses Rollenmuster hinein, und gestalten damit einen Kommunikationsprozeß. Beispielhaft sei hier das Rollenspiel "Nur eine single" skizziert: Der Schüler Peter hat einen Ladendiebstahl begangen, eine Schallplatte geklaut. Der Geschäftsführer des Schallplattenladens, der Klassenlehrer, die Mutter des Schülers, der Vertrauensschüler und Peter selbst (bis auf die Lehrerrolle von Schülern gespielt) diskutieren anhand von vorbereiteten Rollenkarten, die mögliche Argumente enthalten, aber nicht deterministisch den Ablauf bestimmen. Die Autoren wollen auf diese Weise Kenntnisse des Straf- und Zivilrechts vermitteln, Unrechtsbewußtsein anbahnen usw. (FARBER/HENSE 1978 [1])
Das Planspiel ist die Simulation eines einerseits offenen Entwicklungsprozesses, der gleichwohl von einer finalen Orientierung ausgeht. Da der Ursprung im Strategiedenken des Militärs zu suchen ist, könnte das übergeordnete Ziel die Vernichtung des Gegners sein. Die auf dem Wege dorthin zu treffenden Entscheidungen können sich als zieladäquat erweisen, oder aber als kontraproduktiv. Qua höherer Einsicht ist die Metaentscheidungsebene durch die Konstrukteure des Planspiels vorgegeben.
Nicht die Vernichtung des Gegners aber die Eroberung des Marktes durch die Firmen "X" und "Y" mit einem neuen Produkt ist ein Planspiel, das HINZ vorstellt. (HINZ 1978 [1]) In dem Beispiel "produzieren" die Schüler etwas und versuchen durch Materialeinsparung und Personalreduzierung konkurrenzfähiger zu werden.
Allen Simulationsverfahren ist gemeinsam, daß sie die Realität auf mehr oder weniger einfache Modelle reduzieren müssen. Die Schüler "handeln" fast immer nur [/S. 200:] verbalsymbolisch, d.h. ihre Argumente werden durch "bessere" Argumente falsifiziert - im günstigen Falle bestätigt.
Im folgenden stellen wir eine Anzahl neuerer Unterrichtsdokumentationen resp. Schulbücher vor, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, wie zeitgenössische Wirtschaftslehre abläuft.
Zuvor die Beurteilungskriterien, die an die Materialien angelegt werden.
Folgende Unterrichtsmaterialien wurden untersucht:
Doku. 1:
Alfred Zahner: Steinzeitökonomie - Ein Simulationsspiel zum Tauschhandel für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I, in: AWT Info, Heft 1/1996, Hrsg.: Forschungsstelle an der PH Weingarten [10], S.4 ff
Doku 2:
Heinz Klippert: Konjunktur und Wachstum, ein Würfelspiel zur Simulation des Wirtschaftsprozesses, in: arbeiten ( lernen, Heft. 67/1990, S. 67 ff
Doku. 3:
Joachim Günther: Die Europäische Union - die Wirtschafts- und
Währungsunion, Unterrichtsempfehlungen für die Sekundarstufe I und II, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 9/ 1996, S. 323 ff
Doku. 4:
Herbert Müller: Die Krise des Beschäftigungssystems und das Dilemma der Stabilitätspolitik, ein Thema für den Wirtschaftslehre-Unterricht, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 1/ 1995, S. 26 ff
Doku. 5:
Hans Kaminski [3]: Der jugendliche Konsument: Eine Arbeitsblattreihe, in: arbeiten ( lernen Wirtschaft, Heft 24/1996, S. 14 ff
Doku. 6:
Dietmar Krafft [11]
(Hg.): Wirtschaft 7/8. Berlin 1996, Bd. 1
Doku. 7:
Dietmar Krafft [11]
(Hg.) Wirtschaft 9/10. Berlin 1996, Bd. 2
Doku. 8:
Regine Hebestreit: Von wegen Pleiten, Pech und Pannen Unternehmensgründung richtig vorbereiten, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 23/96, S. 23 ff
Doku. 9:
Angela Kirsch: Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 22./96, S. 23 ff
Doku. 10:
Heiko Feeken: Computergestütztes Warenwirtschaftssystem (WWS), ein Beispiel für die Verschmelzung von Kommunikations- und
Informationstechnologien, in: arbeiten . u. lernen / Wirtschaft, Heft 21/96, S. 32 ff
Doku.11:
Josef Hartmann/Reinhard Neudeck: Gehört der Grüne Punkt auf den Müll?, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft ....../94, S. 36 ff
Doku. 12:
Manfred Hübner: Fallstudie Kündigung, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 14/94, S. 26 ff
[/S. 202:]
Doku. 13:
Bruno Weber: Lernspiel "Börse", Vorbereitung auf das Börsenspiel der Sparkassen, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 13/94, S. 44 ff
Doku. 14:
Theo Wolsing: Jugend, Geld, Schulden, Unterrichtsanregung zur Verschuldungsproblematik, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 13/94, S. 23 ff
Doku. 15:
F. Lönne /C. Szkolaja./J. Wünnecker: Ökologisches Handeln im Planspiel: Tourismus aber wie? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 10/93, S. 23 ff
Kurze Inhaltsangaben zu den untersuchten Dokumenten folgen.
Doku 1
Acht Schülergruppen (jeweils 2 bis 3 Schüler) bekommen "Tauschgüter", von denen ihnen gesagt wird, diese seien für den Steinzeitmenschen überlebenswichtig gewesen: Felle, Salz, Weizen, Fische, Äxte, Muscheln, Pfeil und Bogen, Feuer, Hühner u.a.. Diese Güter können als Atrappen (Fische aus Holz) auf den Tischen liegen, es genügt auch den Begriff auf einen Zettel zu schreiben und diesen zu tauschen. Die Schülergruppen haben unterschiedliche Güter, so daß zur Bedürfnisbefriedigung getauscht werden muß. Es geht darum, Wertäquivalente zu bestimmen und festzustellen, welche Güter unentbehrlich sind.
Doku 2
Jeder Spieler stellt den Wirtschaftsminister eines europäischen Landes dar. Auf dem Spielfeld sind Konjunkturzyklen abgebildet. Der Spieler trifft durch Würfeln entweder auf ein Tief oder ein Hoch. Dementsprechend bekommt er Punkte. Gewinner ist dasjenige Land mit der höchsten "Wachstumsrate". Ereigniskarten signalisieren u.a. Arbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung, die das Wachstum positiv oder negativ beeinflussen können. Wissenskarten können im Falle der richtigen Antwort Punkte bringen. Ein Beobachter führt ein Protokoll, in das die erreichten Punkte eingetragen werden. Beispiel für eine Wissenskarte: Wie nennt man die Abschwungphase im Konjunkturverlauf? Antwort: Rezession. Beispiel für eine Ereigniskarte: Die Zentralbank deines Landes kauft Wertpapiere und erhöht dadurch den Geldumlauf in der Wirtschaft. Die Zinsen sinken und die Wachstumsaussichten verbessern sich (plus ein Punkt).
Doku 3
Die Schüler sollen wissen, was die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) will, wie weit die Vorstufe gediehen ist, welche Probleme es gibt (unterschiedlicher Entwicklungsstand der Nationen), wie die Konvergenzkriterien aussehen usw. Die Schüler bekommen sogenannte Materialien, die sie lesen sollen und an die sich Fragen anschließen. (Auszug aus: Handbuch zur Europapolitik, Brittan: Die europäische Herausforderung, Wirtschaftsteil der Zeitung u.a.) Beispiel für eine Frage: "Charakterisieren sie die Ziele der WWU und benennen sie die einzelnen Phasen, die im Vertrag von Maastrich vorgesehen wurden." [/S. 203:]
Doku 4
Die "Unterrichtskonzeption" ist eigentlich nur eine vereinfachte volkswirtschaftliche Modellbildung. Die Arbeitslosenquote wird in Abhängigkeit von Konjunkturzyklen untersucht und festgestellt, daß es eine Asymmetrie gibt, was soviel besagt, daß selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwungs die Zahl der Arbeitslosen nicht oder nur sehr langsam abnimmt. Die Interventionsmöglichkeiten des Staates werden als in der Tradition des Keynesianismus stehend kritisiert. Die Gewerkschaften werden als Organisationen bezeichnet, die den Wirtschaftsliberalismus hemmen, indem sie auf die "Einstellungs- und Entlassungspolitik der Arbeitgeber" Einfluß nehmen und so Mitglieder an sich binden wollen.
Doku 5
Es wird dargetan, daß Arbeitsblätter in der Wirtschaftslehre drei Funktion hätten: Eine Motivierungsfunktion (die Schüler fühlen sich inhaltlich herausgefordert), eine Aktivierungsfunktion (der Schüler muß selbständig - also nicht im Team - arbeiten), eine Leistungsgewöhnungsfunktion (Arbeitsblätter bereiten auf Klausuren und Klassenarbeiten vor). Die Arbeitsblätter zum Thema "Der jugendliche Konsument" gehen davon aus, daß Jugendliche eine Kaufkraft haben, um die sich die anbietende Wirtschaft bemüht. 12 Arbeitsblätter behandeln, die Einkommensarten der Jugendlichen, die Konsumschwerpunkte, die Orientierung an sogenannten Meinungsführern, die Analyse von Jugendzeitschriften, insbesondere die dort veröffentlichte Werbung, den Aufbau eines Supermarktes und ein Kreuzworträtsel.
Doku 6
Das 128 Seiten umfassende Schulbuch besteht etwa zur Hälfte aus Text, zur anderen Hälfte aus Fotos, Karikaturen, Grafiken und Sprechblasen, die einmontierte Kurztexte enthalten. Jedes Kapitel schließt mit Aufgaben, für die sich die Autoren entschuldigen. Lieber wäre es ihnen, wenn die Schüler eigene Fragen hätten. Das Buch behandelt nicht nur wirtschaftliche Fragen im engeren Sinne sondern geht auf die Arbeitsteilung im Privathaushalt ein, stellt die Arbeit verschiedener Handwerke und Branchen vor, wobei die technische Seite der Produktion in Abbildungen verständlich gemacht werden soll. Angelehnt an die Materialien der Bundesanstalt für Arbeit wird die Berufswahl behandelt. Einen breiten Raum nimmt die Stellung des Verbrauchers ein. Betriebliche Konflikte werden angesprochen (Arbeitsbummelei und gesundheitsbedingte Leistungsminderung). Wirtschaftliche Themen im engeren Sinne sind: die "Kreislaufbeziehungen" und der "Kapitalmarkt".
Doku 7
Band 2 des Schulbuches für die Klassen 9 und 10 ist sehr ähnlich aufgebaut. Einige Themen werden in verändertem Kontext erneut aufgegriffen, andere treten hinzu. So der Strukturwandel einer Region (Beispiel Ruhrgebiet). Arbeitszufriedenheit, Arbeitsschutz, soziale Sicherung und Mitbestimmung sind Themen, die starke politische, rechtliche und arbeitspsychologische Implikationen aufweisen. Unter der Überschrift "Ökologie contra Ökonomie" werden kontrovers diskutierte Fakten ausgebreitet, die diskussionsanregend erscheinen. Der Versuch, die scheinbare Objektivität von Statistiken durch diametrale Interpretation zu entlarven, ist interessant. In beiden Schulbüchern finden sich zahlreiche Anregungen für Exkursionen und Praktika. [/S. 204:]
Doku 8
Nach Eingangsinformationen (3 Mill. Selbständige in Deutschland, jährlich 400 000 Betriebsgründungen und 300 000 Konkurse) wird das Profil der Unternehmerpersönlichkeit skizziert. Zu einem Unternehmer gehören u.a.: Führungserfahrung kaufmännische Erfahrung, Belastbarkeit, Unterstützung durch die Familie, Selbstdisziplin, Opferbereitschaft, Risikofreudigkeit usw. Die Schüler sollen dann eine Checkliste für ein fiktives Unternehmenskonzept aufstellen, dazu wiederum gehören Marktanalyse, Branchenanalyse, Rentabiltätsvorstellungen u.a. An der eigenen Schule soll recherchiert werden, ob ein fiktives Produkt "Erfolg" haben könnte. Es gibt Anregungen, Gründerbeispiele zu untersuchen und das Beratungsangebot der Kammern und Innungen kennenzulernen.
Doku 9
Eingangs wird auf den Entschluß der Firma Daimler Benz eingegangen, den neuen Kleinwagen "Smart" in Frankreich zu produzieren. Siemens baut Elektrogeräte in Böhmen, Henkel produziert Persil in Slowenien. 1994 hat die deutsche Industrie 22 Mrd. Mark im Ausland investiert. Die Schüler bekommen 17 (!) Schaubilder aus denen viele Details herauslesbar sind. Drei Motive für die angesprochene Entwicklung werden genannt: Das Markterschließungsmotiv (sichert auch Arbeit zuhause), das Rentabilitätsmotiv (im Falle eines Verzichts würde nicht automatisch in Deutschland investiert), das Kostensenkungsmotiv (Kosten können auch auf anderen Wegen gesenkt werden). Mit 44,-DM liegt die Arbeitsstunde in Deutschland auf Platz 1.in der Welt. Der Arbeitnehmer erhält jedoch nur 24,-DM (Platz 4) Die hohen Lohnnebenkosten werden als Problem bezeichnet. An einem Fallbeispiel wird dies weiter verfolgt (Automobilarbeiter bei AUDI).
Doku 10
Die Schüler lernen den EAN-Code kennen (Europäische-Artikel-Nummer). Scannerkassen sind den Schülern aus vielen Alltagsbeobachtungen vertraut. Mit Hilfe von "Expertenbefragungen" sollen die Schüler Handelsbetriebe vergleichen, die zum einen. bereits mit einem ausgebauten Warenwirtschaftssystem arbeiten und solche, die ihre Warendisposition noch ohne Computerunterstützung (oder erst partiell) bewältigen. An Beispielen wird demonstriert, welche Auswirkungen es hätte, wenn Campingartikel erst nach Saisonbeginn bestellt würden, bzw. wenn die Lagerbestände einer CD nicht rechtzeitig aufgefüllt wurden, obwohl bekannt war, daß eine sehr populäre Pop-Gruppe ein Konzert gibt usw.
Doku 11
Die Schüler werden mit der provozierenden These konfrontiert, der Grüne Punkt gehöre auf den Müll, denn er bitte den Verbraucher zweimal zur Kasse. Nach Informationen über das DSD (Duales System Deutschland) Gesellschaft für Abfallvermeidung und Sekundärrohstoffe m.b.H. (diese Gesellschaft entlastet bekanntlich Abfüller, d.h. Hersteller und Händler von ihrer Entsorgungspflicht.) wird behauptet, der Konsument bezahle einen Aufpreis für Waren mit dem Grünen Punkt, wegen verschiedener Engpässe landeten die Verpackungen aber schließlich doch auf dem Müll und die Entsorgung müsse noch einmal bezahlt werden. Die Schüler erkunden eine Mülldeponie, eine Verbrennungsanlage und einen Verwertungsbetrieb. Sie lernen den Unterschied zwischen echtem Recycling und der Herstellung eines dann nicht weiter recycelbaren Zwischenprodukts kennen. [/S. 205:] Videoaufnahmen und eine von Schülern aufgebaute Ausstellung sollen die gewonnenen Erkenntnisse verbreiten.
Doku 12
In einem mittelständischen Unternehmen der Werkzeugmaschinenherstellung hat sich die Auftragslage stark verschlechtert. Von vier Drehern soll einem gekündigt werden. Die vier Dreher werden vorgestellt (Alter, Familiensituation, Leistungsniveau) Die Fallstudie setzt sich nun mit der Kündigung eines der Facharbeiter auseinander. Der Gekündigte protestiert beim Betriebsrat. Das BVG (§ 102) wird besprochen, Kündigungsarten untersucht (Betriebsbedingte K., personenbedingte K., verhaltensbedingte K., ordentlich K., außerordentliche K., usw.) Die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellt wird am Beispiel der Kündigungsfristen diskutiert.
Doku 13
Die Sparkassen veranstalten in vielen Regionen ein sogenanntes Börsenspiel, bei dem die Schüler Wertpapiere kaufen und spekulieren und dementsprechend auch über Gewinn und Verlust belehrt werden. Die Simulation bekommt durch den "Lernort Sparkasse" eine gewisse Realitätsnähe. In dem vorliegenden Unterricht wurde auf das Spiel vorbereitet. Die Schüler müssen den Wirtschaftsteil der Zeitung auswerten und Begriffe im Zusammenhang mit Börsengeschehen erklären können. Die Kurse einer ausgewählten Aktie werden über einen längeren Zeitraum akribisch aufgeschrieben, anschließend wird die maximale Kursschwankungsbreite errechnet. Einen Text über Marktwirtschaft sollen die Schüler in der Weise umformulieren, daß an die Stelle von "Gütern und Preisen" die Begriffe "Aktien und Kurswert" eingesetzt werden.
Doku 14
Es wird von der begründeten These ausgegangen, die Kreditbranche "verleite" die Jugendlichen zum Geldausgeben. Statistische Angaben über die Zahl der verschuldeten Jugendlichen /jungen Erwachsenen werden diskutiert. Die Markenfixierung vieler Jugendlicher ist erheblich (nur Jeans von der Firma XY sind tragbar). Eine solche Haltung ist durch persönliche Appelle nicht änderbar. Deshalb soll versucht werden, einen Gruppenkonsens in der Klasse herzustellen, erst dieser könnte den einzelnen Jugendlichen von Konsumzwängen "befreien". Das "Schuldenkarussel", ein Würfelspiel, wird eingesetzt. Der Besuch einer Verbraucherberatungsstelle wird vorbereitet. Ein kleiner Fragebogen erhebt Daten, wofür die Jugendlichen ihr Geld (Taschengeld u.a.) ausgeben. Bei einem Experiment versucht eine 17jährige Schülerin in sechs Bankinstituten einen Kredit zu bekommen. Nur zwei Banken verhalten sich korrekt und fordern die entsprechende Zustimmung der Eltern.
Doku 15
Ein kleines Dorf in Dithmarschen mit viel Wald und Seen steht vor der Frage, ob es einem amerikanischen Tourismusunternehmen die Genehmigung für den Bau eines Ferienclubs am See geben soll. Der Bürgermeister, der Förster, der Bäcker, die Leiterin einer Bürgerinitiative, der Vorsitzende eines Wandervereins und der amerikanisch Manager tauschen Argumente aus.(Rollenübernahme durch Schüler) Die Gemeinde könnte Einkünfte gebrauchen, die Naturfreunde haben große Bedenken. Die Schüler müssen schriftlich kommunizieren, Durchschläge der Argumente werden vom Spielleiter gesammelt, bewertet und problematisiert. [/S. 206:]
In der schon bekannten Weise werden die Dokumente mit den Beurteilungskriterien konfrontiert.
Die Unterrichtsbeispiele schneiden schlecht ab, das vermittelte Wissen ist meistens zusammenhanglos, von "außen" an die Schüler herangetragen, es sind kaum Chancen für Selbsttätigkeit und entdeckendes Lernen erkennbar. Die Schulbücher sind thematisch variationsreicher, sie sammeln deshalb mehr Punkte. Erfahrungsgemäß kann ein ganzes Buch wegen des geringen Stundenanteils des Faches aber nicht durchgearbeitet werden.
Unser Kriteriensatz vereint normative und logische Aussagen. So glauben wir, daß Erwerbsarbeit und Hausarbeit der Referenzrahmen sind, auf den sich jede Belehrung über "Wirtschaft" beziehen müßte. Dies hat nicht nur damit zu tun, daß Arbeit die Basis jeder Wertschöpfung ist, wir sehen in Arbeit auch das Medium, in dem sich eine Persönlichkeit bildet. Wirtschafts-"Pädagogik" ist also auf dem falschen Wege, wenn sie Strukturwissen oder gar Gleichgewichtsmodelle vom anthropologischen Bezugspunkt ablöst. Und das tut sie unablässig. Eine logische Konsequenz des hinlänglich bekannten, aber fast nie ernstgenommenen Diktums: "alles Wirtschaften dient dem Endverbraucher" wäre es, die Wohlfahrt des Konsumenten stets in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. Der Wohlfahrtsbegriff ist längst nicht mehr quantitativ im Sinne von hohen Konsumchancen definiert, er ist qualitativ gewendet und vor allem ökologisch zu verantworten. In den Wirtschaftslehrekonzepten trifft man zwar auf solche Themen, sie sind aber oft eines unter vielen.
Die in der Wirtschaftslehre dominierenden Simulationsverfahren sind durchaus zieladäquat, denn der Unterricht besteht auf weiten Strecken in der Auslegung von Begriffen. Um ein solches didaktisches Milieu zu vitalisieren, müssen Gespräche in Gang kommen. Simulationsverfahren eignen sich dazu. Oft produzieren die Schüler realitätsentlastete Lösungsvorschläge in großer Zahl. Ein auf Sachfragen zugespitzter Unterricht der nur richtige oder falsche Antworten zuläßt, soll hier nicht als Alternative empfohlen werden. Ob allerdings ein Schüler in der Rolle des Wirtschaftsministers (bei der Steuerung von Konjunkturzyklen) noch die Verbindungsfäden zur Realität halten kann, wird [/S. 207:] unwahrscheinlich. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß in einigen Fällen die Fabulierlust mit dem Schüler durchgeht.
Vorstellbar ist natürlich eine ganz andere Wirtschaftslehre, die ohne Simulation auskommt, weil sie reale Prozesse reflektiert: Die Schüler stellen ein Produkt her, und versuchen es zu vermarkten. Oder: die Schüler kaufen (bezahlbare) Konsumgüter ein, untersuchen diese auf Gebrauchstauglichkeit, Preisbildung, Herkunft usw. Aber damit würden wir die Grenze zur Arbeitslehre überschreiten.
[/S. 208:]
Eine den Fächern Deutsch und Mathematik vergleichbare, niemals strittige Kanon-Zugehörigkeit kann das Schulfach Wirtschaft nicht vorweisen. Wir hatten jedoch weiter vorn darauf verwiesen, daß eine einflußreiche Gruppierung seit Jahrzehnten Wirtschaft als Schulfach der allgemeinbildenden Schulen fordert.
"In zahlreichen Stellungnahmen hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände seit den fünfziger Jahren wiederholt die Forderung nach einer wirtschaftlichen Grundbildung für alle Schüler bekräftigt. Unverändert gültig blieb bis heute der Begründungszusammenhang für die Forderung , die Hinführung der Schüler zur Wirtschafts-, Arbeits- und Berufswelt als einen maßgeblichen Schwerpunkt im Bildungskanon des Allgemeinbildenden Schulwesens zu verankern."
(Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1980 [1], S.10)
Daß Wirtschaftslehre längst nicht in allen Schulen zum Kanon gehört, hängt u.a. mit einer distanzierten Haltung der Gewerkschaften zusammen. Diese sehen, nicht ganz zu Unrecht, in einem Schulfach Wirtschaft Wettbewerbsvorteile für die Unternehmer. Angebote der Unternehmen sind für Lehrer und Schüler oft attraktiver als Gewerkschaftsbroschüren. Die pädagogische Fachwelt ist gespalten. Unter den allgemeinbildenden Schulen ist es die Realschule, die traditionell eine gewisse Affinität zum Fach Wirtschaft hat. Noch bis in die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg überwog in Realschulen deutlich der Mädchenanteil. Für diese aufstiegsorientierte Klientel waren technische Berufe keine ernsthafte Alternative, die prestigearmen "Frauenberufe" Verkäuferin usw. aber auch nicht. Berufskarrieren als "mittlere wirtschaftliche Führungskraft" schienen attraktiv. Es liegen uns keine überprüfbaren Angaben darüber vor, wieviele Realschulabsolventinnen in kaufmännische Berufe einmündeten, die über Verkäuferin-Niveau lagen.
FAUSER, ein entschiedener Vertreter des praktischen Lernens in der Schule, hat Probleme mit der Wirtschaftslehre:
"Auf Grenzen stößt das praktische Lernen auch bei Feldern der Kultur, die in sich selbst abstrakt sind und kaum anschaulich gemacht werden können. Zu denken ist nicht nur an Wissenschaft, sondern auch an Fragen der Weltwirtschaft oder der Währungspolitik u.ä., die zwar durch Modellbildung erschlossen werden können, in ihren Funktionsabläufen und Zusammenhängen aber abstrakter Zugänge bedürfen."
(FAUSER, 1991 [1], S.125)
Wer heute einem Sonderschullehrer oder einem Hauptschullehrer in Berlin zumutet, mit seinen Schülern wirtschaftliche Modelle zu diskutieren, wird Hohn und Spott ernten, gleiches gilt für viele Gesamtschullehrer. Die Klientel dieser Lehrer steht z.T. unter starkem ökonomischen Druck, insofern wäre Aufklärung über Zusammenhänge scheinbar funktional. Aber eingedenk der BRECHTchen Weisheit "Erst kommt das Fressen und dann die Moral" geht der Lehrer mit seinem Schüler zur Schuldnerberatung, zum Polizeirevier um einen Ladendiebstahl abzuwiegeln, zum Supermarkt, um Käuferfallen zu zeigen usw.
Anders stellt sich die Situation am Gymnasium und teilweise an Realschulen dar. Man kann davon ausgehen, daß in Mittelschicht-Elternhäusern "Wirtschaft" positiv besetzt ist. Die Unternehmerpersönlichkeit, der White-Collar-Job, die Eigentumsbildung, all das sind bürgerliche Wertassoziationen, die auch Bildungsvorstellungen beeinflussen.
FLITNER hat sich mit der Frage auseinandergesetzt "warum lernen Kinder?" Eine unter mehreren Antworten lautet, weil das zu Lernende Geltung in der Gesellschaft hat. [/S. 209:]
"schließlich nennen wir die soziale Anerkennung des zu Lernenden, die Geltung der Bildung in der Gesellschaft. Was hohe Anerkennung genießt, das teilt sich auch den Kindern, den Schülern mit; nicht nur Autofahren, Konsumieren, Rauchen, Musikhören, Kleidermoden und ähnliches sondern auch - nach Lebenswelten unterschieden - ein bestimmtes Wissen und der Umgang damit. Eine hohe soziale Geltung hatte und hat auch heute noch das, was man 'Bildung' nennt. Der Begriff ist zwar unscharf geworden, und es gibt keinen Konsens mehr darüber, welche Inhalte heute die Bildung ausmachen sollen......In dem Maße, wie die Gesellschaft demokratisch und plural geworden ist und die Geltung des Lateins oder der Religion ......diskutiert, haben sich auch die Schüler mit dieser offenen Situation des Lernens auseinanderzusetzen."
(A. FLITNER 1986 [1], S.9f)
"Nach Lebenswelten unterschieden" ist die Parenthese, auf die es uns ankommt. Ein Fach Wirtschaft wird in (westdeutschen) Gymnasien und möglicherweise in Realschulen nicht um Geltung ringen müssen. Für große Teile unserer Jugend ist die Sache aber komplizierter. Das Milieu, aus dem diese Jugendlichen stammen, ist nicht gekennzeichnet durch eine wertpositive Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfragen. Ja, wir haben sogar die historisch einmalige Situation zu würdigen, die durch den Export der sozialen Marktwirtschaft in die neuen Bundesländer entstand. Im dortigen Bildungswesen hatten tatsächlich Lehrbücher über Wirtschaft Konjunktur. In dem Maße aber, in dem die reale wirtschaftliche Situation durch Pleiten, Arbeitslosigkeit, Rückgabe von Immobilien usw. belastet war, schwand auch der Glaube an die Bildungsbedeutsamkeit der Wirtschaftslehre.
Eine empirische Untersuchung an Berliner Jugendlichen (Ost u. West, alle Schularten, Klassen 7 bis 10) zwischen 1991 und 1994 zur Frage: "Auswirkungen von ökonomischem Druck auf die psychosoziale Befindlichkeit von Jugendlichen" fand den bereits früher festgestellten Zusammenhang nicht widerlegt, wonach Eltern aufgrund ökonomischer Deprivation ihre schlechte Befindlichkeit massiv in das Familienklima einbringen.
(BUTZ/BOEHNKE 1997 [1])
FLITNER hat natürlich recht wenn er sagt, daß alle Schüler eine mehr oder weniger manifeste Wertorientierung haben. Nicht nur die materiellen Kultgegenstände sind es, die ihr Leben prägen, sie möchten Anerkennung in der Arbeit, wollen ökologisch helfen, sind sogar zur Konsumeinschränkung bereit, wenn sinnvolle Tätigkeiten offenstehen. Die Frage, ob Wirtschaftslehre in der heute weithin anzutreffenden Ausprägung einen Bildungsbedarf trifft, muß sehr zurückhaltend beantwortet werden. Die gesellschaftliche Anerkennung ist auf keinen Fall ungebrochen, sie ist sogar dort, wo sie scheinbar vorhanden ist, mit der Alternative Arbeitslehre konfrontiert.
[/S. 210:]
Während wir bei den Schulfächern Technik und Haushalt ziemlich gut sehen konnten, daß eine die Wahrheitskriterien liefernde Bezugswissenschaft fehlt und damit auch die Gefahr der Abbilddidaktik entschärft ist, liegt der Fall bei einem Fach Wirtschaft anscheinend anders. Immerhin gibt es die beiden etablierten Wirtschaftswissenschaften, die Volkswirtschaftslehre und die Betriebswirtschaftslehre. Nun hatte KAMINSKI [3], der ein Verfechter der Wirtschaftslehre pur ist, einräumen müssen, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsdisziplinen nur eine Orientierungs- keine Ableitungsfunktion für das Schulfach haben könnten (Vergl. S. 183 dieser Abhandlung).
Die Betriebswirtschaftslehre kann u. E. eine Orientierungsfunktion (für Schüler) nur in einem sehr vermittelten Sinne haben. Daß die Betriebswirtschaftslehre im Kern eine Gewinnmaximierungs-Lehre ist, läßt sich kaum bestreiten. Ihre modernen Theoriebestandteile, die oft mathematische Kalküle sind, müßten dem Schüler eigentlich als Bedrohung entgegentreten. Die Marketingstrategien etwa, haben deutlich manipulative Bestandteile, die nicht immer die Wohlfahrt des Konsumenten sondern dessen Verfügbarkeit zum Ziel haben. Substitutionsrechnungen von der Art, daß eine drei Millionen DM teure Maschine drei Arbeiter "freisetzen" könnte, sind zunächst mal nicht schülerfreundlich. Nun kann man aus den genannten Gründen nicht betriebswirtschaftliche Erkenntnisse aus der Schule verbannen. Wenn z.B. junge Menschen vor dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule sich auch mit der Chance - vielleicht sollte man besser sagen: dem Risko - der Existenzgründung beschäftigen, werden betriebswirtschaftliche Basisinformationen nicht schaden können. Eine andere didaktische Argumentation hebt ab auf das Studium der gegnerischen Taktik. Als Verbraucher müßte man die Strategien der Unternehmen kennen, um ihnen wirkungsvoll begegnen zu können.
Betriebswirtschaftliche Qualifikationen, die man für die Führung eines Kleingewerbes benötigt, haben in der Regel keinen Wissenschaftsstatus; es handelt sich um kaufmännisches Regelwissen, um arbeitsorganisatorische Fähigkeiten usw. (Vergl. z.B. Fischer/Hartwig/Reuel: Das Lernbüro im Rahmen der Arbeitslehre, Berlin 1994 [1]). Was die Aufklärung der jungen Verbraucher angeht, sind, ganz unabhängig von betriebswirtschaftlichen Lehrmeinungen, teilweise in Auseinandersetzung mit ihnen, didaktische Konzepte entstanden. (Vergl.: STEFFENS 1983 [1], Urbatzka 1992) Insofern ist zumindest für die allgemeinbildende Schule die Bezugswissenschaft "Betriebswirtschaftslehre" irrelevant.
Der Fall ist , was die Volkswirtschaftslehre betrifft, etwas komplizierter gelagert. GUNNAR MYRDAL [12]
hat den ideologischen Gehalt der Volkswirtschaftslehren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts aufgedeckt. Bereits der Ahnherr der modernen Nationalökonomie, ADAM SMITH, ignorierte eine Grenzziehung zwischen Politik und Ökonomie. Seinen "Reichtum der Nationen" verstand er als eine Sollensforderung an die Politik. MYRDAL bescheinigt der Nationalökonomie bis in dieses Jahrhundert ein Verwischen der Grenzen zwischen wissenschaftlicher Forschung und den daraus (unzulässig) abgeleiteten Folgerungen für eine Wohlfahrt der Menschheit. Auf die Wertfreiheit der Wissenschaft wird in der Nationalökonomie bereits durch den Sprachgebrauch ein Schatten geworfen: ständig ist vom Nutzen die Rede, von Werten, vom Gleichgewicht, vom Sowieso-Optimum usw. [/S. 211:]
"So läßt sich bildlich sagen, daß der Preis die 'Aufgabe' erfüllt, die Nachfrage zu beschränken und das Angebot zu stimulieren, so daß Gleichgewicht entsteht. Solche Ausdrucksweise kann sich aus dem rein stilistischen Grund empfehlen, um damit der Darstellung größere Leichtigkeit zu geben. Aber vergißt man nur einen Augenblick, daß es sich dabei lediglich um eine Metapher handelt, so fügt sich dem Hauptsatz leicht ein äußerst gefährlicher Nebensatz an: wobei der Gleichgewichtspreis 'richtig' ist und die Produktionsfaktoren ihrer wirtschaftlichsten Verwendung zugeführt werden. Wir befinden uns dann wieder in einer normativ-teleologischen Denkweise. Ist man bis zu dieser nicht nur falschen, sondern strenggenommen sinnlosen Formulierung gekommen, so wird die Sache nicht dadurch besser, daß man weiterhin postuliert, das Gesagte gelte nur 'vom Standpunkt der auf dem Markte oder in der Gesellschaft herrschenden Wertung'. Es existiert auf dem Markte oder in der Gesellschaft keine 'Wertung' - im Singular - sondern es gibt ebenso viele 'Wertungen' wie tauschende Personen. Die 'Wertungen' sind bedingt von der ökonomischen Lage, in der sich jeder einzelne befindet, und diese ist u.a. ihrerseits wieder mitbestimmt vom gesamten Preisbildungsprozeß, wie er gerade als Resultat dieser Wertungen abläuft. Außerdem sind Wertungen als solche wissenschaftlich inkommensurabel. Es ist nicht zulässig, eine einheitliche gesellschaftliche Wertsetzung in die wissenschaftliche Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen auf diese Weise einzuschmuggeln."
(MYRDAL 1963 [1], S.17)
Aber nicht nur MYRDAL, auch die renommierte KEYNES-Schülerin JOAN ROBINSON hat sich mit den "Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft" auseinandergesetzt. Sie kommt zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Eine der Hauptschwierigkeiten der Volkswirtschaftslehre sieht sie darin,
"daß die Nationalökonomen - in Ermangelung experimenteller Methoden - nicht streng genug genötigt sind, metaphysische Begriffe auf widerlegbare Sätze zu reduzieren und daß sie sich nicht zu einer Übereinkunft darüber durchringen können, was sich als falsch erwiesen hat. Am einen Bein ungeprüfte Hypothesen, am anderen unprüfbare Slogans - so humpelt die Nationalökonomie daher. Unsere Aufgabe liegt darin, diese Mischung von Ideologie und Wissenschaft so gut es geht auseinanderzusortieren."
(ROBINSON 1965 [1], S. 35)
Nimmt man eine klassische "Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen" zur Hand, etwa die von SCHACHTSCHNABEL, wundert man sich über Theorien, die trotz offensichtlicher Widersprüchlichkeit fortgeschrieben werden. (Siehe auch die Bemerkung ROBINSONS, wonach endgültige Falsifizierungen volkswirtschaftlicher Doktrinen eher selten sind.) Auf JOHN STUART MILL geht die Theorie des "neutralen Geldes" zurück. Nach ihm gibt es..
"für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft nichts Unwesentlicheres als das Geld."
(zitiert nach SCHACHTSCHNABEL 1971 [1], S.238)
Der Begriff des "Geldschleiers" soll ausdrücken, daß über der realen Wirtschaftstätigkeit und diese nicht beeinflussend, ein Schleier von Geld liegt, der elastisch genug ist, um alle Änderungen z.B. der Austauschbeziehungen mitzumachen. Diese Theorie ist nicht obsolet, sie lebt in veränderter Gestalt fort. Man halte sich nur das derzeitige Sparvolumen der Deutschen vor Augen und stelle sich eine drastische Geldentwertung vor, welchen Eindruck würde bei den betroffenen Sparern die Theorie des neutralen Geldes machen?
In "Geschichte und Ökonomie" fragt HANS-ULRICH-WEHLER:
"Was z.B. wird vom heuristischen Wert - von der theoretischen Erklärungskraft ganz zu schweigen - der Theorien des Equilibriums, des vollständigen Wettbewerbs, von Angebot und Nachfrage übrigbleiben, wenn [/S. 212:] der Historiker bzw. der historische Sozialwissenschaftler es unablässig mit Ungleichgewicht und Ungleichmäßigkeit, also nie mit Gleichgewicht zu tun hat, wenn er statt der Fata Morgana des vollständigen Wettbewerbs sehr konkrete oligopolistische Konkurrenz, mithin Macht statt Marktgesetze feststellt, wenn er soziale Kriterien der Verteilung und Herrschaft Angebot und Nachfrage dominieren sieht? Weshalb dann nicht gleich eine historisch adäquate Theorie, die von der gleichsam prinzipiellen Disproportionalität des kapitalistischen Wachstumprozesses ausgeht, auf die fragwürdig regulative Idee des vollständigen Wettbewerbs verzichtet, gesellschaftliche Machtkonstellationen und Werte voll mit einbezieht?"
(H.-U. WEHLER, 1973 [1], S.23 f)
Wenn man die Ideologieanfälligkeit der verschiedenen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen einmal beiseite läßt kommt man früher oder später zu der erkenntnistheoretischen Schlüsselfrage: ist unser Bewußtsein bestimmt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse oder ist die historische Ausprägung des Wirtschaftssystems Ausfluss einer Idee. Personalisiert wird dieser Gegensatz in MARX und WEBER. (vergl. insbesondere: KOCKA: Karl Marx und Max Weber im Vergleich [1], in: H.-U.WEHLER 1973, S.54 ff) Eine Sowohl-als-auch-Antwort kann hier nicht mehr entfaltet werden. Unsere knappe Ideologiekritik an volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen hatte nur einen Zweck: Nachdenklichkeit unter Pädagogen darüber anzustoßen, ob die behauptete "wissenschaftliche" Überlegenheit einer schulischen Wirtschaftslehre (gegenüber der Arbeitslehre) haltbar ist.
[/S. 213:]
Links
[1] https://sowi-online.de/reuel-literatur.htm
[2] http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/mitarbeiter.htm
[3] http://www.ioeb.de/institut/personen/kaminski.html
[4] http://www.wiwi.uni-bielefeld.de/~weinbren/seite3.htm
[5] http://www.wiwi.uni-muenster.de/ioeb/team/krol.html
[6] http://www-tech.mit.edu/V116/N28/kuhn.28n.html
[7] http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/publikationen.htm
[8] http://www.oekonomische-bildung.de
[9] http://hrz.upb.de/mut/ufe/daten/kaiser.htm
[10] http://www.ph-weingarten.de
[11] http://www.wiwi.uni-muenster.de/ioeb/team/krafft.html
[12] http://nobelprizes.com/nobel/economics/1974a.html