Behrmann, Günter C., Jeismann, Karl Ernst, Süssmuth, Hans (1978): Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts

 

1. Einleitung

 

1.1 Zur Situation der Didaktik des historischen und politischen Unterrichts

Seit einigen Jahren kündigt sich der Beginn einer neuen Epoche in der Geschichte der deutschen Schule an. Das gilt sowohl für ihre Organisationsformen und ihre Einpassung in die sozialen Veränderungen, für den gesamten Lehrplan wie für den Fachunterricht; es gilt in besonderer Weise für den geschichtlichen und politischen Unterricht.

Den Vorzug, Geschichtsunterricht genießen zu dürfen und politische Aufklärung intentional zu erhalten, hatten in der Geschichte lange Zeit nur die unmittelbar oder mittelbar an der Herrschaft beteiligten Gruppen. Geschichtsunterricht war zunächst der Fürstenerziehung vorbehalten, wurde an den Ritterakademien eingeführt und drang schließlich am Ende des 18. Jahrhunderts in die gelehrten bürgerlichen Schulen ein. Erst spät, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde der historisch-biblische Unterricht der Volksschulen nach und nach durch weltlichen Geschichtsunterricht ergänzt. Ein, nicht nur historisch angeleiteter, die je bestehende politische Ordnung wie die Rechte und Pflichten der Bürger behandelnder politischer Unterricht wurde schließlich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den Fächerkanon der Schulen aufgenommen. Zumal im deutschen Schulwesen hielt sich bis in unsere Tage – deutlicher noch im Geschichtsunterricht als im sozialkundlich-politischen Unterricht – eine Zweischichtung: dem "Gebildeten" wurde ein anderes Geschichtsbild in der Schule zuteil als dem "Volk". Der historische Unterricht in den Volksschulen orientierte sich in der Praxis an einem anderen Verständnis der Bürgerrolle als an den Gymnasien. Die Aufhebung dieses Unterschiedes, die der Ausweitung der politischen Grundrechte auf alle Bürger, nunmehr auch die jungen Bürger, nachfolgt, würde allein schon genügen, um die Didaktik des Geschichtsunterrichts, teilweise auch des politischen Unterrichts vor eine neue und notwendige Aufgabe zu stellen. Der politische Unterricht im eigentlichen Sinne beginnt überhaupt erst auf der Basis potentieller demokratischer Teilhabe aller an der politischen Willensbildung. Deshalb wird hier eine didaktische Grundlegung nicht für bestimmte Schularten, sondern für den Geschichts- und Politikunterricht aller Schulen versucht.

In einem ersten Arbeitsvorhaben werden Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe I (einschließlich der Förderstufe) vorgelegt. Sie richten sich gleicherweise an alle Schüler – auch wenn in der Schulorganisation der Länder nach wie vor große äußerliche und innerliche Unterschiede zwischen den Schularten dieser Stufe bestehen. Sie überwinden zu helfen und damit eine breite Fundierung historisch-politischer Bildung aller Heranwachsender ohne schul- oder schichtenspezifische Differenzierung durch den Unterricht voranzutreiben – dies aber auf einem Anspruchsniveau zu versuchen, das der Bedeutung dieser Fundierung entspricht – ist das erste Anliegen dieses Vorhabens. Ein differenzierteres Angebot für die Sekundarstufe II (Leistungs- und Grundkurse) wird folgen. Für Leistungskurse der Sekundarstufe II und für den akademischen Unterricht ist eine Reihe dieses Werkes mit dem Untertitel "Quellen und Forschungen" vorgesehen.(1) [/S. 12:]

Die Herausforderung der Didaktik der Geschichte wie einer von ihr nur um den Preis einer fachwidrigen Verengung der Problemstellung zu trennenden Didaktik der Politik wird verschärft durch die schon oft dargestellten und in ihrer Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht gewürdigten besonderen Tatsachen der deutschen Geschichte einerseits, der weltpolitischen Verschiebungen andererseits. Darum muß hier nicht mehr ausgeführt werden, wie der Schock des Verlustes des nationalen Geschichtsbildes nach 1945, wie die schon über die Ereignisse von 1933 und 1918 zurückreichenden Erschütterungen des Vergangenheitsverständnisses dem geschichtlichen und politischen Unterricht in deutschen Schulen die selbstverständlich und unbefragt geltende Basis der geschichtlichen Identität entzogen; es muß nicht mehr dargelegt werden, wie die deutsche Teilung als Symptom einer universalen weltpolitischen Frontenbildung, wie das ständig sich neu Herausbilden unerwarteter und noch schwer faßbarer politisch-geschichtlicher Entwicklungen in einer immer mehr auf Verflechtung und Wechselwirkung entfernter Faktoren tendierenden Welt auch den alten, europäischen Rahmen des nationalen Geschichtsbildes sprengt. Schließlich muß nicht mehr nachgewiesen werden, daß sowohl mit der Entwicklung der Sozialwissenschaften und der Metamorphose der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren, wie auch mit der erst jüngst wieder erkannten und unmittelbaren Bedeutung historischer Analysen, jene Urteile und Wertungen, welche die politische Gegenwart und die Zukunft mitbetreffen, neu und kontrovers diskutiert werden. Die "Reideologisierung" der politischen Auseinandersetzung macht nicht nur den politischen Unterricht, sondern in gleichem Maße auch den Geschichtsunterricht zu einer Stätte der Auseinandersetzung unterschiedlicher politischer Tendenzen.(2)

Längst ist unter dem Eindruck dieser Vorgänge die Tatsache wieder anerkannt, daß didaktische Konzeptionen des historischen und politischen Unterrichts keine bloß pädagogischen, nur didaktischen Angelegenheiten sind, sondern politische Positionen bezeichnen. Das war auch in der Vergangenheit so, wenngleich eine durch die Erfahrungen nach 1933 nicht ohne Grund den politischen Zugriff abwehrende Didaktik diese enge Verbindung von Politik und Pädagogik leugnen mochte. Indessen ist die bloße Wiederholung der Feststellung des Zusammenhangs zwischen Unterricht und Politik in dieser Allgemeinheit doch schon wieder ein Zeichen der Unschärfe des Denkens geworden. Sie bleibt in ihrer Allgemeinheit entweder leer oder dient der Rechtfertigung unmittelbarer politischer Instrumentalisierung des Unterrichts. Sie kann soweit führen, daß die bloße Konstatierung des Zusammenhangs von Unterricht und Politik – eine Binsenwahrheit – die eigentliche Aufgabe der Didaktik verschleiert: Die Analyse der möglichen und die Begründung der jeweils für richtig und verantwortbar gehaltenen Arten dieses [/S. 13:] Zusammenhangs. Denn nicht der immer existierende Zusammenhang zwischen Pädagogik und Politik an sich, sondern nur die spezifische Art, in der er sich herstellt, ist für die Substanz und für das Profil einer didaktischen Konzeption relevant.(3)

Das mit diesem Band eröffnete Unterrichtswerk versteht sich als ein Versuch, die Konzeption des Geschichtsunterrichts und des politischen Unterrichts auf eine bestimmte Art der Definition des Zusammenhangs zwischen der Didaktik der Fächer und der politischen Funktion des Unterrichts zu gründen; eine Art, das sei vorab bemerkt, die weder die Didaktik zum Instrument einer politischen Tendenz degradiert noch die Pädagogik als "Meisterin" der Politik oder als Ersatz für sie versteht. Bei Wahrung der Eigenständigkeit und relativen Besonderheit jeder der Bereiche von Politik und Pädagogik gilt es, beide – hier im Bereich des historisch-politischen Unterrichts – so zu vermitteln, daß der Unterricht auch im Blick auf die politische Reflexion und das politische Verhalten substantiell und relevant wird, daß zugleich die politische Sphäre pädagogisch unter der Frage erschlossen wird, ob und wie sie offen, also kritisierbar und human, also verantwortbar vor der heranwachsenden Generation erfahren und gehalten werden kann.

Das hier geplante und sukzessiv zu entwickelnde Unterrichtswerk folgt einem flexiblen Konzept, das sehr unterschiedliche didaktische Akzentuierungen und methodische Zugriffe nicht nur erlaubt, sondern für wünschenswert hält. In den einzelnen Unterrichtseinheiten werden die Herausgeber den spezifischen didaktischen Ansatz jeder Einheit genauer ausweisen. In diesem Band wird das Konzept des Werkes als ein Rahmenkonzept vorgestellt, das sowohl die Grenzen, innerhalb deren es sich bewegt, wie die Strukturen, die es in diesem Bewegungsraum für fundamental hält, deutlich erkennbar macht.

Es wird weder ein theoretischer noch ein praktischer Vollständigkeitsanspruch erhoben. Systematische Lücken sind angesichts der Situation der Unterrichtswissenschaften unvermeidbar; es war den Herausgebern sehr bewußt, daß darüber hinaus der gegenwärtige geschichtliche Prozeß selbst die Erarbeitung eines abgerundeten, vollständigen, in toto "gültigen" didaktischen Systems und eines daraus abgeleiteten erschöpfenden Unterrichtswerkes nicht nur fragwürdig, sondern auch unmöglich macht. Herausgeber und Verfasser behalten sich vor, aus der Erfahrung mit den Unterrichtsmodellen ihre didaktische Konzeption zu korrigieren wie umgekehrt aus weiterer theoretischer Bemühung die praktischen Ansätze der Unterrichtseinheiten zu verändern. Sie sind deshalb für Anregungen, Einsprüche, Kritik nicht nur dankbar, sondern darauf angewiesen. [/S. 14:]

 

1.2 Der fachdidaktische Ausgangspunkt

Versucht man, den generellen, fachunspezifischen Ansatz didaktischer Bemühungen nach den wichtigsten Sektoren zu unterscheiden, findet man, das komplexe Faktorenbündel sehr abstrakt zusammenfassend, drei Hauptbereiche:

  • Die Lernsituation im weitesten Sinne, angefangen von der Besonderheit der Individuen über die sozialen Strukturen einer Schulklasse und einer Schulorganisation bis hin zu den gesamtgesellschaftlichen Verflechtungen, in denen der einzelne lebt und die mehr oder weniger seine Lernsituation mitbestimmen. Dies ist das empirisch zu erforschende Feld der Voraussetzungen, in dem jeder Unterricht steht, das ihm Möglichkeiten und Grenzen setzt, zu dessen Faktoren aber auch der Unterricht selbst gehört.
  • Die Zielrichtung und Zwecksetzung des Unterrichts, also die Vorstellung davon, was durch den Lernprozeß als positiv gesehene Veränderung bewirkt werden soll: Steigerung des Wissens, Entwicklung des Könnens, Wandel oder Verbesserung des Verhaltens der einzelnen, dadurch aber – als Hoffnung – auch der sozialen Gruppe, in denen sie sich befinden. Dies ist eine letztlich normativ zu setzende Richtung des erzieherischen Handelns. Vielfältig gebrochen, in unterschiedlichem Bewusstseins grad beim Lehrenden ist diese Setzung nicht wegzudenken; sie bestimmt die Gesamtplanung und die einzelnen Schritte des Unterrichts.
  • Die Mannigfaltigkeit der Mittel und Verfahren unmittelbaren unterrichtlichen Handelns, die Fülle der Aktionen und Reaktionen während der Durchführung und direkten Organisationen der Lernvorgänge. Dies ist die pragmatische Ebene des Unterrichts, das unmittelbare, mit seinen unverschiebbaren Forderungen sich aufdrängende, den Lehrer in Handlungszwang setzende tägliche Aktionsfeld. Hier kann nicht gewartet werden, bis über die empirischen Voraussetzungen und die normativen Entscheidungen "endgültige" Klarheit herrscht; in einem immer vorläufigen Bewußtseinsgrad muß der Lehrer darum improvisieren, intuitiv aus dem Augenblick entscheiden. Hier liegt die notwendig bleibende Lücke und Grenze rationaler didaktischer Vorbereitung. Sie fordert von jedem Lehrer persönlich pädagogisches Einfühlungsvermögen, menschlichen Takt, methodische Phantasie, kurz: nicht vorher einplanbare Spontaneität. So bleibt dem Lehrer ein breiter und tiefer Entfaltungsraum, den keine Didaktik ausloten und durch Planung ersetzen kann, in dem gleichwohl die wichtigste und nachhaltigste Wirkung des Unterrichts gegründet ist. Das Vermögen des Lehrers, in spontaner Reaktion und intuitivem Einfall zweckentsprechend unterrichtlich und erzieherisch zu handeln, wächst erfahrungsgemäß in dem Maße, wie die Didaktik ihm den breiten Raum des empirisch, normativ und pragmatisch rational zu Erschließenden verdeutlicht und damit dem persönlichen erzieherischen und unterrichtlichen Handeln erst den klaren und bewußten Rahmen gibt, in dem es sich entfalten kann.

Die allgemeine Didaktik und Unterrichtsforschung hat die Erschließung dieses didaktischen Feldes von verschiedenen Seiten her versucht. Dabei hat sich gezeigt, daß die Wahl des Ansatzes das spezifische Profil des didaktischen Vorstellungsmodells bestimmte, so daß man – ohne Rücksicht auf das Fach, auf den spezifischen Gegenstand des Unterrichts – bestimmte Modelle und Typen von Didaktik beschreiben konnte.(4) [/S. 15:]

Sieht man die allgemeinen didaktischen Modelle bis hin zu den Konstruktionen der Curriculumtheorie genauer an, fällt auf, daß sie, obgleich je nach Ansatz dieser oder jener Art von Fachwissenschaft näher verbunden als der anderen, doch eigentümlich leer bleiben. Die Verallgemeinerung des Zugriffs auf Unterricht schlechthin läßt, ungeachtet der Versuche, hier und da das Modell zu exemplifizieren, den Gegenstand des Unterrichts selbst gleichsam durch die Löcher eines Siebes fallen. Da nun aber der Lerngegenstand, die Sache, um die es im Unterricht gehen soll, nicht auswechselbare und zufällige Zutat, sondern ein das gesamte Bedingungsfeld des Unterrichts mitbestimmendes und spezifisch einrichtendes Element ist, erweist es sich als unmöglich, der allgemeinen Didaktik nur ein fachspezifisches Additum anzufügen, um den didaktischen Zugriff zu komplettieren. Vielmehr strukturiert der Gegenstand des Unterrichts die drei oben skizzierten Sektoren didaktischer Bemühungen in je besonderer Weise. Die individuellen und sozialen Voraussetzungen des Unterrichts, seine Ziel- und Zwecksetzung ebenso wie seine pragmatische Durchführung lassen sich nicht untersuchen, planend oder handelnd angehen, ohne daß von vornherein der Inhalt des Unterrichts mitbedacht wird. Das gilt gerade auch im Hinblick auf die außerschulischen Bedingungen individueller und sozialer Art, die zu bestimmten Lerngegenständen nicht nur mehr oder weniger Affinitäten oder Aversionen, sondern auch ganz deutlich unterscheidbare von Fach zu Fach unterschiedlich zu gewichtende Voraussetzungen darstellen. Gerade für den historisch-politischen Unterricht hat die Art, in der sich in der Gesellschaft auf unterschiedliche Weise Geschichtsvorstellungen, politische Überzeugungen und Einschätzungen politischer Handlungsmöglichkeiten zu bilden pflegen, eine wesentliche Bedeutung.

So wird der Ruf nach der "Fachdidaktik" als Ergänzung der Curriculumentwicklung um so lauter, je mehr es darum geht, konkreten Unterricht zu planen, Lehrpläne inhaltlich zu begründen und praktisch umzusetzen. Die Entwicklung der Curriculumplanung hat die Forderung nach der Entwicklung der Fachdidaktik aus sich selbst hervorgetrieben.(5)

An diesem Punkte setzt der Versuch dieses Unterrichtswerks an. Der Gegenstand des Lernens wird hier zum Ausgangspunkt der didaktischen Reflexion und Planung genommen. Indem er dem Gegenstand des Unterrichts wieder die Aufmerksamkeit zuwendet, die ihm – nicht zum Nutzen der didaktischen Forschung und Planung – in den letzten Jahren häufig entzogen wurde, wendet sich dieser Versuch jedoch nicht ab von den wichtigen und nicht mehr zu übergehenden Ergebnissen und Problemstellungen der Curriculumforschung. Was auf diesem Felde an Gespreiztheiten und Anmaßungen, an Irrtümern und bisweilen grotesken Einseitigkeiten ins Kraut geschossen ist, darf nicht zum Anlaß werden, die nicht zu leugnenden Einsichten und Bewusstseinsschärfungen mit über Bord zu werfen, welche die curriculare Forschung der letzten 10 Jahre gebracht hat. Deshalb sei gleich zu Anfang betont, daß der Ausgang vom Gegenstand des Unterrichts hier nicht einen Rückfall in didaktische Konzeptionen meint, die der frohen Hoffnung waren, daß die Beherrschung des Faches – was immer damit gemeint sei – die beste, ja die einzig [/S. 16:] richtige Didaktik darstelle. Das rem tene, verba sequuntur, in dem ja ein Wahrheitskern steckt, führt sich, zur herrschenden didaktischen Maxime erklärt, selbst ad absurdum.

Besteht man auf der Eigenständigkeit eines fachdidaktischen Ansatzes, will man dem Gegenstand des Lernens, und damit dem Lernen selbst eine Bedeutung und Dignität zurückgeben, zeigt sich allerdings sogleich, daß der Begriff des "Faches", mit dem der Gegenstand des Lernens in einen Lernplan transponiert wird, in einen sehr viel weiteren Horizont gestellt werden muß, als es der des Lehrplans, als es der der Schule überhaupt ist (s. dazu unten S. 55 ff.). Es zeigt sich, daß der Begriff "Fach" ein schulisch verkürzter Ausdruck für eine bestimmte Dimension persönlichen wie allgemeinen Daseins ist, daß eine Fachdidaktik also ihre Grundlage in dieser, die Schule weit übergreifenden gegenwärtigen Wirklichkeit zu suchen hat, wenn sie ihrem eigenen Anspruch gerecht werden will.

 

1.3 Zum Zusammenhang zwischen historischem und politischem Unterricht

1.3.1 Allgemeine didaktische Überschneidungen und Ergänzungen

Versucht man in Kürze, die Aufgaben des Geschichtsunterrichts von denen des Politikunterrichts abzugrenzen und zugleich die Berührungs- oder Überschneidungsflächen zu bezeichnen, läßt sich etwa folgendes sagen:

Das Sachgebiet des Politikunterrichts liegt in der Gegenwart im weitesten Sinne, in ihren staatlichen, regionalen, kommunalen Strukturen, sozialen, wirtschaftlichen Zuständen, theoretischen Deutungsmustern ihres Selbstverständnisses und praktischen Verhaltensweisen der Menschen – jenseits der "res privatae" – in ihren Umweltverhältnissen. Sein Ziel muß es sein, eine zugleich kritische und qualifizierte Befähigung zu vermitteln, diese Gegenwartsverhältnisse zu erkennen, anzuleiten zum Finden und Bestimmen eines eigenen Standortes, zu helfen bei der Entwicklung von Verhaltensweisen, die sowohl den Gegebenheiten wie den Herausforderungen der Gegenwart adäquat sind und soweit wie möglich auf verantwortbaren Entscheidungsprozessen beruhen. Da sowohl die Verhältnisse wie deren Interpretation, die Kategorien des Erkennens und die Muster des Verhaltens nicht statisch ein für allemal gegeben sind, sondern sich unter wechselnden Bedingungen im historischen Prozeß herausgebildet haben und sich in ihm weiter verändern, kann ein seinen eigenen Ansatz begreifender Politikunterricht nicht ohne historische Standortbestimmung der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Wollens auskommen; er kann die gewünschten Qualifikationen nicht unter Verzicht auf die Erkenntnis ihrer Historizität vermitteln. Er ist keine normative "Ewigkeitskunde", sondern historische Gegenwartskunde. Deshalb ist die Geschichtlichkeit eine der unumgehbaren Kategorien des politischen Unterrichts – als eine Bedingung der Erkenntnis gegenwärtiger Verhältnisse und der Möglichkeit, sich in ihnen zu orientieren und selbst zu bestimmen, nicht aber um der historischen Erkenntnis vergangenen Lebens an sich gehört die geschichtliche Dimension zum politischen Unterricht.(6) [/S. 17:]

Der Geschichtsunterricht hingegen hat eine sowohl durch die zeitliche Tiefe wie durch die umfassendere, nicht durch das Politische allein zu erschöpfende Thematik menschlichen Lebens eine potentiell sehr viel weitere Gegenständlichkeit. Eine Auswahl dessen als Kenntnis und sekundäre Erfahrung zu überliefern, was menschliches Leben im Läufe der Zeit individuell und kollektiv sein konnte und was es an Spuren hinterließ, die Möglichkeiten und Perspektiven in der Folge der Veränderung, in Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit zur Anschauung zu bringen und in die Reflexion zu heben, ist eine Aufgabe, die dem Geschichtsunterricht kein anderes Fach ungeachtet der historischen Dimension, die im zugeordnet sein mag, abnehmen kann. Die Fähigkeit, Vergangenes als etwas anderes, an sich selbst Interessantes und durch Verwandtschaft oder Gegensätzlichkeit das eigene Dasein Bereicherndes anzuerkennen, ist nun schon im weitesten Sinne eine Qualifikation sowohl humaner wie auch politischer Bildung. Der Gefahr des Sich-Verlierens im Unendlichen des geschichtlichen Daseins und des Verlustes an Fähigkeit zur Gewichtung muß der Geschichtsunterricht innerhalb der begrenzten Zeit, die ihm zur Verfügung steht, dadurch begegnen, daß er neben der Vermittlung des Vielfältigen und Fremden im energischen Zugriff die Genese unserer eigenen Gegenwart und ihrer im weitesten Sinne politischen Verhältnisse aufzeigt, mit denen es der Politikunterricht unmittelbar zu tun hat. Im Ernstnehmen der "Vorgeschichte der Gegenwart" werden die Gegenwartsverhältnisse nicht nur besser verstanden; sie werden auch als ein in Kontroversen Gewordenes aufgefaßt und in ihrem gegenwärtigen Spannungszustand begriffen, so daß die Vorstellung nicht Raum greifen kann, es mit festen und unveränderlichen Gegebenheiten in der Gegenwart zu tun zu haben.

Daß die Zustände der Gegenwart Übergangszustände sind, daß sie sich nicht nur ändern, sondern daß sie auch veränderbar, d. h. menschlichem Planen und Handeln unterworfen sind, ist eine Einsicht, die politisches Grundverhalten beeinflussen kann. Aber die nicht minder wichtige Kehrseite dieser Erkenntnis ist die, daß die gewordenen Zustände eben nicht beliebig veränderbar sind, daß in Vergangenheit und Gegenwart gründende Bedingungen vielfältigster Art nicht nur das Handeln, auch schon das Planen und Denken eingrenzen, vor Hindernisse oder auch in Antinomien führen; daß geschichtliches Handeln immer im Prozeß – d. h. unter wechselnden und nicht sicher vorhersehbaren Bedingungen – vor sich geht und unter Umständen in seinen Ergebnissen weit von den Zielen und Motiven der Handelnden oder Fordernden abweicht; daß unkalkulierbare Nebenwirkungen sich in den Vordergrund drängen können.

Beides, die Möglichkeiten und die Bedingungen wie Grenzen des politischen Handelns, müssen und können im Geschichtsunterricht deshalb besonders einsichtig gemacht werden, weil uns die Geschichte abgelaufene Vorgänge und Handlungsstränge vor Augen stellt und es möglich macht, Motive und Begründungen für das Handeln, Bedingungen und Begrenzungen, Strategien und Wirkungen oder Ergebnisse politischen Handelns im Zusammenhang zu sehen. Insofern wäre ein auf diesen Blickpunkt hin angesetzter Geschichtsunterricht auch am entferntesten Beispiel eine politische Fallstudie.

Aber auch insofern, als der Geschichtsunterricht die nicht realisierten Alternativen, gescheitertes Denken und Handeln innerhalb der Vorgeschichte der Gegenwart aufzeigt, [/S. 18:] kann er die Möglichkeit und Bedingtheit politischen Handelns verdeutlichen, zu Vergleich und Urteil anregen und so dem politischen Verständnis eine tiefere und differenziertere Perspektive geben, als es ohne die historische Dimension einem rein präsentistischen Politikunterricht möglich wäre. In dieser Weise können sich gerade durch die Verbindung mit dem geschichtlichen Unterricht die Möglichkeiten, Befürchtungen und Hoffnungen der Gegenwart im Horizont der vergangenen wie der "kommenden Geschichte" (Wittram) begreifen.

Jenseits der unpolitischen Verhaltensweisen des Aktionismus oder der frustrierten Abstinenz kann in der Verbindung von politischem und historischem Unterricht besonnenes, auf Kenntnis, Urteil, Entscheidung gegründetes, illusionsloses politisches Verhalten vorbereitet werden.

Zu bestimmten, in konkreten Situationen zu realisierenden, inhaltlich umschriebenen Verhaltensweisen oder gar Handlungen kann der Geschichtsunterricht weder generelle noch spezielle Anleitungen geben, wenn er nicht das preisgeben will, was er in die politische Bildung mit gedecktem Wechsel einbringen kann: er kann für politische Verhaltensweisen und Entscheidungen einen Horizont von Kenntnis und historischer Perspektive bereitstellen, breitere Grundlagen und besseres Verständnis der unterschiedlichen oder gegensätzlichen Entscheidungen und Verhaltensweisen in der Gegenwart liefern, er soll "konditionieren" zum Begreifen der spannungsreichen politischen Positionen der eigenen Zeit, ihres relativen Rechts, ihrer jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Bedingtheiten. Indem er die Möglichkeit, selbstbewußt und begründet Positionen zu beziehen mit dem Vermögen vermittelt, andere Positionen zu begreifen, wird er selbst unmittelbar zum politischen Unterricht. Er kann diese Funktion aber nur wahrnehmen, wenn ihm die erkennende Distanz, die Besonnenheit als didaktische Grundkategorie gewahrt bleibt, die es .erlaubt, unmittelbare Gegenwart in den historischen Zusammenhang zu rücken. Das Engagement des Geschichtsunterrichts ist eben diese Besonnenheit, und nichts wäre falscher und würde die politische Bildung mehr reduzieren, als wenn diese Besonnenheit als Mangel an Engagement verketzert oder aufgegeben würde.

So bedarf der politische Unterricht in seinem direkteren Zugriff der Ergänzung durch den Geschichtsunterricht – der Geschichtsunterricht seinerseits des zielgerichteten, schärferen Zugriffs des politischen Unterrichts auf die Gegenwart. Indem sich beide ergänzen, halten sie auch ihre möglichen Fehlentwicklungen in Schranken.

Diese Skizze des Gegenstandes und der Berührungspunkte von Geschichtsunterricht und politischem Unterricht entbehrt zweifellos der Trennschärfe. Es scheint so zu sein, daß der Zusammenhang zwischen historischem und politischem Unterricht im allgemeinen unbestritten ist, daß aber Versuche, aus dieser allgemeinen Ansicht eindeutige curriculare Konsequenzen zu ziehen, theoretisch willkürlich und unbefriedigend geblieben sind. War es in der Vergangenheit über lange Strecken so, daß vornehmlich dem Geschichtsunterricht zugleich die politische Bildung zugewiesen wurde, so gibt es in der Gegenwart Versuche, den Geschichtsunterricht einem didaktisch strukturell gegitterten Feld der Gesellschaftslehre einzugliedern. Die scharfe Kontroverse um diese Umkehrung des Verhältnisses zwischen geschichtlichem und politischem Unterricht hat zweifellos die Diskussionen beflügelt und die Positionen klarer hervortreten lassen. Sie hat aber auch gezeigt, daß ein ohne theoretische Vorentscheidungen und ohne Willkür aufzustellendes systematisches Schema einer Integration von Geschichts- und Politikunterricht nicht in [/S. 19:] Sicht ist.(7) Der unbewußt schon resignative Versuch andererseits, unter der Ausblendung von Geschichte zunächst einmal einen Politikunterricht für sich zu begründen und zu exemplifizieren, zeigt immer mehr die Schwächen, die im historischen Defizit dieses Ansatzes begründet sind.

Es ist wiederholt dargelegt worden, daß die Beziehungen zwischen Gegenstand und Methoden der Politikwissenschaft einerseits, der Geschichtswissenschaft andererseits so komplex, zugleich so gegenstands-, aspekt- und methodenabhängig sind, daß die Zeit für eine theoretisch haltbare Fundierung wissenschaftlicher und didaktischer Integrationsvorhaben zwischen historischem und politischem wissenschaftlichen Zugriff keineswegs erreicht ist. Die alte, vorübergehend anerkannte Scheidung zwischen "idiographischem", individuellen Prozeß beschreibendem und systematischem, generelle Formationen analysierendem Verfahren, das erste der Geschichtswissenschaft, das zweite der politischen und Sozialwissenschaft zugeordnet, ist längst aufgegeben. Auch der chronologische Ort ist kein verläßlicher Gradmesser dafür, ob wir es mit einem politischen oder historischen Gegenstand zu tun haben. Der Zeitgeschichte ist Gegenwärtiges zugewiesen; die Geschichte älterer Epochen bezieht sich virtuell in Frageanlaß und Problematisierung auf den Horizont unserer Zeit; selbst die Zukunft – als zweifellos "historische Dimension" – ist zwar nicht als Erforschbares gegeben, aber als Gewolltes und Eingeschätztes ein Regulativ der Historie. Auf der anderen Seite kennt die Politikwissenschaft längst nicht mehr die Begrenzung auf ein punktuell Gegenwärtiges, sie greift zum Vergleich wie zur Genese auf Vergangenes zurück und hat, nach vorübergehender Ausblendung historischer Kategorien, die Geschichte wieder als Politik im Prozeß entdeckt. Wie Geschichte sich in einer zweifellos nicht allgemein gültigen, aber wichtigen Auffassung als "historische Sozialwissenschaft" verstehen kann, so kann auch die Politikwissenschaft je nach Gegenstand, Methode und Erkenntniswillen – und nicht nur im Hinblick auf die Zeitgeschichte – zu einer politischen Geschichtswissenschaft werden.

1.3.2 Variable Kombination als pragmatischer Weg der Verbindung von historischem und politischem Unterricht

Aus dieser multiperspektivischen und flexiblen Verbindung zwischen Politikwissenschaft und Geschichtswissenschaft, deren Zusammenhang sich je nach Gegenstand und Methode immer neu konstituiert, müssen für den Zusammenhang zwischen Geschichtsunterricht und politischem Unterricht Konsequenzen gezogen werden. Ohne eine theoretisch umfassende Basis der curricularen Verbindung ein einheitliches Konzept der Integration zu liefern und sich der Gefahr auszusetzen, gewaltsam wissenschaftstheoretische und didaktische Dekrete zu erlassen, schlägt das vorliegende Werk einen pragmatischen, gegenstands- und methodenbezogenen Weg ein: Die Akzentuierung des Unterrichts erfolgt im Hinblick auf Thema und Fragestellung so, daß entweder im Sinne eines Politikunterrichts gegenwärtig Politisches unmittelbar aufgegriffen oder im historischen Ansatz die Vergegenwärtigung des Vergangenen in Zustand und Prozeß zum Schwerpunkt wird; im ersten Fall wird die historische Dimension, im zweiten Fall die aufs gegenwärtig Politische zielende Bedeutung des Themas mit erarbeitet. In jedem Fall aber sind die methodischen Denkansätze oder die den Transfer ermöglichenden kategorialen Denkformen [/S. 20:] in den Unterrichtsbeispielen angelegt und entwickelt, die es erlauben, Geschichte und Gegenwart, Politisches und Historisches unterscheidend und urteilend miteinander in Beziehung zu setzen.

Es ist in diesem Band versucht worden, sowohl für den Geschichtsunterricht wie für den politischen Unterricht einen selbständig ansetzenden, aber jeweils auf den anderen verweisenden didaktischen Begründungs- und Handlungsrahmen zu entwickeln; innerhalb dieses didaktischen Rahmens werden die Themen aufeinander bezogen oder miteinander verbunden. Diese Beziehung ergibt sich je nach dem Gegenstand in unterschiedlicher Weise:

  • Historische und politische Unterrichtsbeispiele stehen in relativer Selbständigkeit nebeneinander. Eine direkte Verbindung wird nicht intendiert – lediglich über die Entwicklung von Denkformen und methodischen Zugriffen stellt sich eine mittelbare Beziehung her. Diese Selbständigkeit ist als Möglichkeit deshalb notwendig, weil der Zwang, bei jedem Thema im Unterricht die zwar latent vorhandene, aber nicht immer im Mittelpunkt des Zielrahmens stehende und oft sehr vermittelte Verbindung zwischen Politik und Geschichte herzustellen, zur Verkrampfung führen muß. (Beispiel: Völkerwanderungen, Entdeckungen, Kolonisationen – Probleme der Entwicklungsländer).
  • Historische und politische Themen sind vom Gegenstand her eng aufeinander bezogen: Eine geschichtliche Unterrichtsreihe bietet die Gelegenheit, ein politisches Phänomen in der Gegenwart genauer zu analysieren oder umgekehrt. Diese Verbindung ist die eines curricularen Nacheinanders, in dem ein Fach den Gegenstand des anderen aufgreift und auf seine Weise vertieft. (Beispiel: "Industrielle Revolution" – "Kapitalismus")
  • Historischer und politischer Zugriff sind in einem Thema verbunden. Die "Integration" erfolgt durch das Zusammentreffen der gleichermaßen politisch gegenwärtigen wie historischen Bedeutung und Auffassung des Themas; das Erkennen gegenwärtiger Verhältnisse und das Begreifen historischer Prozesse sind unlösbar miteinander verbunden. Eine solche Unterrichtsreihe geht genetisch von der Vergangenheit auf die Gegenwart zu ("Kinderarbeit und Kinderschutz in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert"), setzt regressiv an einer gegenwärtigen Erscheinung an und sucht ihre historischen Bedingungen auf ("Marxistische Revolutionen in der dritten Welt") oder versucht komparativ am historischen Anderen das gegenwärtig Eigene begreiflich zu machen und umgekehrt. ("Grenzen in der Geschichte")

Auf diese Weise erscheint es am ehesten möglich, ohne Zwang, bei breitester Mitentscheidung über Thema und Methode durch den Lehrer wie durch die Lerngruppe im Unterricht den Zusammenhang zwischen Geschichte und Politik herzustellen, den beide in der Realität haben. Kein "Fach" braucht sich hier dem anderen zu unterwerfen, keins sich vom anderen zu isolieren. Auch das unterrichtstechnisch schwierige Problem der Stundenzumessung läßt sich durch dieses Konzept der relativ variablen Unterrichtsreihen, die unterschiedliche Formen der Kooperation herstellen, am ehesten lösen. Diese Aufbereitung der Gegenstände des politischen und historischen Unterrichts und die Verschränkung der Ziele läßt abwechselnd getrennten Fachunterricht ebenso zu wie Epochenunterricht oder einen kombinierten und konzentrierten Gesamtunterricht im gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfeld. [/S. 21:]

Der Explikation des didaktischen Ansatzes folgt in diesem Band eine Zusammenstellung der Themen des politischen und historischen Unterrichts. (4) Dabei werden in Rückbeziehung auf die Begründungen sowohl die Inhalte, die unterschiedlichen methodischen Zugangsformen und die Verbindungsmöglichkeiten der Themen kenntlich gemacht – im Rahmen des Versuchs, durch eine den Jahrgängen – wenngleich nicht streng – zugeordnete Folge von Unterrichtseinheiten ein Curriculum des geschichtlichen und politischen Unterrichts zu erstellen.

Erfolgt die Zusammenstellung eines Curriculums des historischen und politischen Unterrichts in pragmatischer Weise nach unterschiedlich eng dem Geschichtsunterricht bzw. dem politischen Unterricht zuzuordnenden Themen, so darf diese praktisch notwendige Form der Anordnung doch nicht ein vordergründiges Bild vom Zusammenhang zwischen geschichtlicher und politischer Bildung erzeugen: es sind letztlich nicht die Themen selbst, die diesen Zusammenhang konstituieren – oder sie sind es doch nicht vornehmlich. Ob im Geschichtsunterricht politische Bildung mitgeprägt wird, ist nicht so sehr eine Frage des behandelten Gegenstandes – etwa seiner Zeitnähe – sondern eine Frage des geistigen Zugriffs, der didaktischen Grundkategorien. Das gleiche gilt umgekehrt. Darum wird in diesem Werk der tiefere, über die Kenntnis- und Wissensvermittlung in die Sphäre der Denk- und Urteilsfähigkeiten wie der Wertsetzungen reichende Zusammenhang zwischen historischer und politischer Bildung nicht zuerst im Thematischen gesehen und gesucht; vielmehr findet er sich jenseits der Zuordnung von Themen im spezifischen, dem Gegenstand des historischen und politischen Unterrichts angemessenen Grundgefüge didaktischer Kategorien. Ist es – wie unten näher ausgeführt wird – der enge Zusammenhang zwischen Vergangenheitsbewußtsein, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, welcher sowohl das reflektierte historische wie das aus bloßer Reaktion erlöste politische Denken und Urteilen bezeichnet, so ist darin der – unterrichtlich zu explizierende – Zusammenhang von Wissen und Erkennen, Beurteilen, Bewerten und Sich-Verhalten mit gesetzt. In der Einübung dieses Denk- und Orientierungsverhaltens an Themen, welche durch die Fragenotwendigkeiten unserer Zeit ebenso wie durch die historisch auf uns gekommenen staunenswerten und weiterwirkenden Phänomene vergangenen Daseins "pro-voziert" werden, liegt ungeachtet unterschiedlicher Akzentsetzungen und wissenschaftsystematischer Zugriffe die eigentliche Verbindung zwischen historischem und politischem Unterricht.(8) Sie realisiert sich durch didaktische Strukturierung und Methode in einem permanenten, grundlegenden und nicht nach Stunden oder Unterrichtseinheiten abzuzirkelnden Prozeß. Die thematische Zuordnung ist nur das curricular beschreibbare, organisatorisch aufweisbare Mittel, diese Verbindung in unterschiedlicher Inhaltsbezogenheit zu konkretisieren. (vgl. unter 4.1.5)

 

Anmerkungen

(1) Zur Unterschiedlichkeit des vermittelten Geschichtsbildes vgl. die in ihren Deutungen und Wertungen der Motive zweifellos dogmatisch einseitige, in der Bestandsaufnahme aber nicht zu übergehende Untersuchung von Karla Fohrbeck, Andreas J. Wiesand, Renate Zahar (1971).

(2) Zur Diskussion dieser Problematik vgl. Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1975); Gerhard Schulz (1973); Géza Alföldy, Ferdinand Seibt, Albrecht Timm (1973); Jochen Huhn (1975); Rolf Schörken (1974); Arnold Sywottek (1974); Werner Conze (1972).

(3) Vgl. dazu insbesondere die durch die Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre ausgelöste intensive Diskussion: Gerd Köhler, Ernst Reuter (1973); Bernhard Vogel (1974); Wolfgang Hilligen (1973).

(4) Herwig Blankertz (1975). Vgl. auch die instruktive Auseinandersetzung mit didaktischen Ansätzen unterschiedlicher Art bei Wolfgang Hilligen (1975); vgl. auch Joachim Rohlfes (1971).

(5) Vgl. Herwig Blankertz (1973a). Darin ders. (1973b)

(6) Vgl. Joachim Rohlfes, Hermann Körner (1970), S. 36 ff.; Hermann Giesecke (1972), S. 151 ff.; Bernhard Sutor (1973), S. 36 ff., 99-106, 331 f. Interessanterweise finden sich bei Wolfgang Hilligen (1975) und Rolf Schörken (1974) keine expliziten Ausführungen über die Frage des Zusammenhangs zwischen dem historischen und politischen Unterricht. In den didaktischen Begründungsteilen dieses Bandes gehen die Verfasser detaillierter auf die gegenseitigen politischen bzw. historischen Implikationen des Geschichts- und Politikunterrichts ein, wie sie in der Konzeption dieses Ansatzes erscheinen.

(7) Vgl. Maek-Gérard, Eva; Muhlack, Ulrich; Zitzlaff, Dietrich (1974)

(8) Immer noch unübertroffen ist der Aufsatz von Friedrich J. Lucas (1966). Das folgende didaktische Konzept des Geschichtsunterrichts verdankt diesem Aufsatz Anregungen und wichtige Hinweise.

 

Literatur

Alföldy, Géza; Seibt, Ferdinand; Timm, Albrecht, Hg. (1973): Probleme der Geschichtswissenschaft. Düsseldorf.

Blankertz, Herwig (1973a): Fachdidaktische Curriculumforschung – Strukturansätze für Geschichte, Deutsch, Biologie, Bochum.

Blankertz, Herwig (1973b): Die fachdidaktisch orientierte Curriculumforschung und die Entwicklung von Strukturgittern. In: Blankertz, Herwig, Fachdidaktische Curriculumforschung – Strukturansätze für Geschichte, Deutsch, Biologie, Bochum

Blankertz, Herwig (1975): Theorien und Modelle der Didaktik. 10. Auflage. München.

Conze, Werner, Hg. (1972): Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts. Stuttgart.

Fohrbeck, Karla; Wiesand, Andreas J.; Zahar, Renate (1971): Heile Welt und Dritte Welt, Medien und politischer Unterricht. Opladen.

Giesecke, Hermann (1972): Didaktik der politischen Bildung. 7. Auflage. München.

Hilligen, Wolfgang (1973): Dreimal Emanzipation. Ansätze für einen Vergleich der neuen Richtlinien für den politischen Unterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie in Rheinland-Pfalz. In: Gegenwartskunde, 22 (1973) 3, S. 271 ff.

Hilligen, Wolfgang (1975): Zur Didaktik des politischen Unterrichts 1. Wissenschaftliche Voraussetzungen, Didaktische Konzeptionen, Praxisbezug. Ein Studienbuch. Opladen.

Huhn, Jochen (1975): Politische Geschichtsdidaktik. Untersuchungen über politische Implikationen der Geschichtsdidaktik in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik. Kronberg/Ts.

Kaltenbrunner, Gerd-Klaus, Hg. (1975): Die Zukunft der Vergangenheit. Lebendige Geschichte – Klagende Historiker. München.

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