3. Beruf in seinem Stellenwert für Individuum, Wirtschaft und Gesellschaft

Im vorangehenden Teil wurde dargelegt, welche Aspekte bei der Definition des Berufs über Jahrzehnte hinweg im Vordergrund standen. Aus diesen Deutungen (siehe Übersicht 1 und 2) seien nun jene Elemente herausgearbeitet, die für Individuum, Wirtschaft und Gesellschaft besondere Relevanz haben.

 

3.1 Beruf als Tauschmuster und Arbeitsmarktregulator

Die individuellen Arbeitsvermögen werden auf Strukturen bezogen, in denen Erwerbsarbeit angeboten und entlohnt wird. Darauf fußen viele Definitionen des Berufs. Beispielsweise formuliert Hesse (1972: 130 f.):

"Berufskonstruktion soll heißen ein planmäßiger Vorgang zur Konstruktion von Mustern zur Qualifizierung und zum Tausch von Arbeitskraft,

  • an dem berufsfremde Interessen maßgeblich beteiligt sind
  • und das Interesse der Arbeitskraftbeschaffung vor allem auf die Sicherung von Qualifikationserwartungen zielt."

"Professionalisierung soll heißen ein planmäßiger Vorgang zur Konstruktion von Mustern zur Qualifizierung und zum Tausch von Arbeitskraft,

  • an dem die Berufsangehörigen maßgeblich beteiligt sind
  • und das Interesse von Arbeitskraftverwertung vor allem auf die Sicherung und Steigerung von Entschädigungschancen zielt."

Dieselbe Argumentation liefern Beck/Brater/Daheim (1980: 37), wenn sie die "subjektbezogene Arbeitsorganisation" als die für Verhältnisse des Warentausches charakteristische Form interpretieren, die zu dauerhaft institutionalisierten Kombinationen und Abgrenzungen vor Arbeitsfähigkeiten bzw. Tätigkeiten führe, "die als "Arbeitskräftemuster" von Individuen übernommen werden." Ein Modus, der die "Berufsform" der Arbeitsverteilung derartig bestimme, "dass wir sagen können: Der Beruf ist die Form, in der inhaltlich besondere Fähigkeiten als Ware angeboten werden. (...) Dominantes Gestaltungsprinzip der Berufsform ist ... die Vermarktbarkeit der Arbeitskraftangebote. Dieses Prinzip bestimmt zunächst auch die Herausbildung der Einzelberufe." (a.a.O.: 39)

Arbeitsfähigkeiten, gebündelt im Zuschnitt der institutionalisierten Kombinationen, die der Einzelne durch Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung und/oder Einarbeitung erworben hat, werden am Arbeitsmarkt in Form von Berufen mit speziellen Berufsbenennungen angeboten. Andererseits werden Qualifikationserwartungen der Betriebe, die Arbeitskräfte suchen, in ebensolcher Form als Stellenangebote formuliert. Alle derartigen Benennungen, die spezifischen Arbeitsplatzprofile im Betrieb bzw. das spezifische Arbeitsvermögen der Individuen kennzeichnen, werden im deutschen Sprachraum dann unter "Beruf" subsumiert, wenn sie mit einer Benennung bezeichnet werden können und keine umfangreichere Beschreibungen erfordern.

Die Berufsausbildung und das dort erworbene Qualifikationsprofil wirken demnach als erste Zuschreibung des Fachberufs. Unterhalb der Hochschulebene sind Freisprechungsfeiern am Ende der Lehrzeit heute noch ein blasses Abbild ursprünglicher Initiationsriten, wie sie früher den Übergang der Jugend in die Erwachsenenwelt markierten. Diplome und Abschlusszertifikate bilden aber immer noch den Nachweis fachlicher Kompetenz; Handwerker dokumentieren sie öffentlich mit dem im Verkaufsraum ausgehängten Meisterbrief.

Berufskonstruktion, Verankerung der Ausbildungsprofile in Rechtsverordnungen, Erlasse der Kultusministerien zur schulischen Berufsausbildung, Studien- und Prüfungsordnungen der Hochschulen, Landes- und Bundesgesetze, die den Zugang zu Berufen an staatliche Examina binden, all dies sind beredte Zeugnisse dafür, wie sehr Berufsausbildung konstitutives Merkmal der Beruflichkeit ist. Möglicherweise haben sie die Flexibilität von betrieblicher Berufsallokation reduziert.

Betriebe würden möglicherweise offenere Zuweisungen wie Modularisierung und Bausteinsysteme bevorzugen, um sich nicht mit den starren und überkommenen beruflichen Strukturen auseinander setzen zu müssen. Allerdings erfordert dies besondere Bemühungen, bei der dann aufscheinenden Vielfalt die jeweiligen Kombinationen prägnant, für jedermann verständlich zu benennen. Welche Bezeichnung wäre dann in der Lage, die Fachqualifikation der Personen zu beschreiben?

Neuerdings tritt der aus dem anglo-amerikanischen Raum eindringende "Job" samt dem ihm zugeschriebenen "Jobdenken" neben den Beruf. Aus der Sicht tradierter Beruflichkeit wird dem Job immer noch eine eher negative Bedeutung zugemessen, wonach Job und Jobben als auf reinen Gelderwerb zielend angesehen werden, ohne dass ein Eintauchen in die Beruflichkeit in allen ihren Dimensionen erfolgt. Die Dauerbindung, die Identifikation mit der Arbeitsaufgabe und dem Unternehmen, die Sinnfindung in der Arbeit kann der Job nicht leisten, er orientiert sich am kurzfristigen Nutzen. Allerdings ist zu beobachten, dass die Vorliebe für Anglizismen oft dazu verleitet, von Job zu reden, wo es im Grunde genommen um Beruf geht.

Berufe und ihre Benennungen bündeln die vielfältigen Fähigkeiten von Menschen, wie auch die Aufgaben, die an Arbeitsplätzen auftreten, in programmatischer Form. Berufe mit ihren Benennungen werden zur Kommunikationsbasis über den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung, sind Tauschmuster, nach denen Bedarf signalisiert, Angebot ermittelt und Marktausgleich erfolgen kann.

 

3.2 Die emanzipative und rechtliche Bedeutung von Beruf

Die Diskussionen Ende der 70er Jahre über den Bedeutungsverlust des Berufs und seine Verdrängung durch den [/S. 448:] Qualifikationsbegriff, auch die Hervorhebung des kurzfristig definierten Jobs haben eine Neubesinnung über die Bedeutung von Beruf ausgelöst. In ihrem "Plädoyer für den Beruf" haben Crusius und Wilke (1979: 3) Leerfelder der aktuellen Berufsbildungsdiskussion, "die für die weitere Entwicklung in dieser Gesellschaft gefährlich werden können", bezeichnet und dargelegt, "dass eine neue, vom Berufsbegriff ausgehende Akzentuierung der Berufsbildungs- und Arbeitsmarktdiskussion notwendig ist." Beruf könne nicht Privileg einer elitären Minderheit sein, die eine erfolgreiche Berufs- und Standespolitik zu betreiben in der Lage sei. Plädiert wird für "die Wiederentdeckung des Berufs als dem interessenbezogenen Kriterium für das individuelle und kollektive Handeln der abhängig Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, das ... dem Rentabilitätsprinzip des Kapitals entgegengesetzt werden kann." (a.a.O.: 7). Arbeiter, Angestellte und Beamte identifizierten sich mit dem Beruf, auf den sie ihre materiellen Ansprüche, ihr Selbstbewusstsein und ihre betrieblichen Rechte gründen, denn "Begriffe sind auch soziale Wirklichkeit, in ihnen wird sie gedacht und erlebt" (a.a.O.: 8).

Die emanzipative Bedeutung von Beruf erschöpft sich nicht im Interessenabgleich zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern. Beruf ist - zumindest bisher - ein Wesensmerkmal spezifischer Erwerbsarbeit in abhängiger Position und bietet Subsistenzsicherung und gesellschaftliche Integration. Zentrale Rechtsnormen basieren auf derartigen Attributen des Berufs. Schon frühe Deutungen haben den Beruf als erwerbszentrierte Kombination von Verrichtungen, als Erwerbs- und Versorgungschance beschrieben. Ohne dass die deutsche Verfassung es expressis verbis formuliert, postulieren das Sozialrecht und das Sozialhilferecht die Eigenverantwortung des Individuums für die Subsistenzsicherung bzw. die Subsidiarität bei sozialen Unterstützungsleistungen. Das Grundgesetz verbürgt die Wahrnehmung der Erwerbschancen und der Versorgung unmittelbar und direkt durch folgende Elemente:

  • mit der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), die Vereinigungen (Verbände) für alle Berufe zur Wahrung der Arbeitsbedingungen ausdrücklich erwähnt,
  • mit der Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG), nach der Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei gewählt werden können,
  • mit der Gewährleistung des Privateigentums und des Erbrechts (Art. 14 Abs. 1 GG), mit der die Früchte einer erfolgreichen Berufstätigkeit genossen und weitergegeben werden können.

Der letzte Aspekt ist in wissenschaftlichen Analysen im Kontext der Beruflichkeit kaum thematisiert worden, allerdings von der Bildungsökonomie, die in ihrer Ausrichtung um die individuellen Humankapitalzurechnungen (siehe dazu Becker 1964) durchaus derartige Vermögensgewinne berücksichtigt. Ausbildung und ihre berufliche Verwertbarkeit werden unter dem Aspekt der Humanressourcen und ihrer nachhaltigen Entwicklung zu Investitionen der Individuen und der Wirtschaft als Ganzes, die - werden sie gepflegt und optimal genutzt - Standortvorteile im Wettbewerb bieten, im negativen Fall zu Fehlinvestitionen für Unternehmen und Individuen führen.

Die Grenzen, die die Verfassung einem Abbau an Beruflichkeit der Erwerbsarbeit setzt, sind bislang nur zum Teil ausgelotet. Mit dem ab Januar 1998 novellierten Arbeitsförderungsgesetz sind sie im Kontext mit der Frage neu bestimmt worden, welche Abstriche an Beruflichkeit Einzelne dann hinnehmen müssen, wenn sie Leistungen der Sozialversicherung in Anspruch nehmen. Die Anwendung der Neuregelung und einschlägige Urteile werden zeigen, in welchem Umfang das im Beruf konstituierte Bündel der Arbeitsfähigkeiten, der Subsistenzsicherung, der personalen und sozialen Identifikation zur Disposition steht, bzw. wann und in welchem Umfang Hilfen der Versichertengemeinschaft gewährt werden, die eingetretene Minderungen der Erwerbsbefähigung und des sozialen Status auffangen oder abfedern.

 

3.3 Beruf als Mittel zur sozialen und personalen Identifikation

In welchem Umfang über Beruf soziale Wirklichkeit gedacht und erlebt wird, ist bereits skizziert worden. In Übersicht 2 wurde versucht, aus den Deutungen und Zuschreibungen des Berufs folgendes abzuleiten,

  • welche Attribute im Beruf präsent sind, was einzelne aus ihrer Berufsarbeit gewinnen, welche Perspektiven sie erschließt und welcher Art die Verantwortung ist, die ihnen als "Berufsmenschen" zukommt,
  • welche Komponenten eine erfolgreiche Berufswahl kennzeichnen, woran zu messen ist, ob die ihr zugeschriebene Funktion der Integration ins Arbeitsleben gelungen ist bzw. welche Defizite an Berufsförmigkeit am Ende der Ausbildungsphase auszugleichen wären,
  • schließlich welcher Art die Ausgrenzung/Diskriminierung von Arbeitslosen ist, wie weit der - zunächst nur temporäre - Berufsverlust geht, und welche Risiken zu gewärtigen sind, dauerte die Erwerbslosigkeit an oder misslänge die Reintegration im Umfeld des erworbenen und ausgeübten Berufs.

In diesem Kontext stehen Analysen, die Berufe nach dem Grad der Autonomie und möglichen Selbstverwirklichung eingruppieren. Hier geht es vor allem um die Gestaltbarkeit der Arbeitsvollzüge, die starre Berufsdefinitionen nicht zulassen, sondern eine Individualisierung beruflicher Ausrichtung erfordern. Persönlichkeitsförderliche Arbeitstätigkeiten (siehe dazu Ulich 1991) lassen sich - bezogen auf das Individuum - nur dynamisch definieren und abgrenzen, was zugleich zu einer offenen Berufszuweisung bzw. -modifikation und zu dynamischen Berufsbildern führen muss (siehe dazu Heidegger/Rauner 1997: 20 ff.).

Auch das Ausmaß der sozialen Anerkennung von Berufen lässt sich hierarchisch stufen und in einer Prestigeskala abbilden. Treiman (1979: 124 ff.) hat Messergebnisse zum Berufsprestige international verglichen und stellt eine hohe Übereinstimmung fest: "Mit den Daten von 55 Ländern betrug die durchschnittliche Korrelation zwischen Paaren von Ländern 0,81, was als sehr hoch angesehen werden muss." Beruf scheint also immer auch Prestige und soziale Anerkennung zu signalisieren.

Berufliche Mobilität könnte Beruflichkeit relativieren. Sofern die soziale Integration des Einzelnen über eine stabile Berufszugehörigkeit erfolgt, müssen Mobilitätsphänomene sehr differenziert bewertet werden. Das IAB hat immer wieder Erwerbstätige befragt, ob sie - und wie oft - ihren Beruf gewechselt hätten und ob sie im neuen Beruf die in der Ausbildung erworbenen Qualifikationen verwerten könnten. Bei der letzten Erhebung (Jansen/Stooß 1992: 35 ff.) ergab sich bei Fachkräften mit betrieblicher Berufsausbildung ein durchschnittlicher Anteil

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  • von 31% unter den ein- bzw. mehrmaligen Berufswechslern in Westdeutschland,
  • von 43% unter den ein- bzw. mehrmaligen Berufswechslern in Ostdeutschland.

Schließlich ist Beruf in Deutschland zum Vehikel für die Gleichberechtigung der Frau im Erwerbsleben geworden. Die gleiche Teilhabe an Erwerbsarbeit erfordert auch die Einordnung in Berufemuster. Berufe waren ja zuvor von Männern erdacht und gemacht, um außerhalb der Familie zu agieren und sich Geltung zu verschaffen.

Dauerhafte und gleichberechtigte Integration der Frau ins Erwerbsleben wirft damit berufsbezogene Fragen auf, stellt vorherrschende Deutungen in Frage, denn ohne eine Neuverteilung der Rollen in der Familie und beim Aufziehen von Kindern und in der Partnerschaft droht Frauen Überforderung bzw. ein phasenweiser Rückzug aus dem aktiven Berufsleben mit all den negativen Auswirkungen, die in der Frauenforschung thematisiert worden sind. Allein neue Erwerbsformen und Rollenbilder, die gleichermaßen für Männer und Frauen gelten, werden auf Dauer soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen mindern und der derzeit erkennbaren hierarchischen Abstufung nach Einfluss, Ansehen, Einkommen und Karrieremustern ihre Schlagseite nehmen, die zur Pyramidenspitze hin immer mehr männerdominiert ist.

 

3.4 Beruf als Raum für Aufgaben- und Pflichterfüllung

In der Berufswahl sind es oft die berufspädagogischen Deutungen des Berufs, die in individuellen Interessen und Fähigkeiten jene Variablen sehen, nach denen entschieden wird (bzw. werden sollte), welcher Beruf und welche Ausbildung ergriffen werden sollte. Darauf beruhen die Berufswahltheorien (Bußhoff 1992: 77 f.), die Berufswahl als Abgleich verstehen, bei dem zu klären sei, wo Einzelne ihre Interessen und Fähigkeiten optimal entfalten (Matching-Prozess), bzw. in welcher Weise sie ihr Selbstkonzept mit dem "Umweltkonzept" abstimmen (Berufswahl als Lern-, Entwicklungs- und Entscheidungsprozess) könnten.

Die Verschränkung sozialer Erwartungen und individueller Bemühungen ist bei Ableitungen des Berufs und der Berufsidee immer wieder im Nebeneinander von Aufgaben und Pflichten, die Einzelne der Gesellschaft gegenüber zu übernehmen haben, erörtert worden. In den Jahren um 1920 ist dies mit Vokabeln vom "Dienen" und "Dienst an der Gesellschaft" beschrieben worden, die ob des damit verbundenen Missbrauchs heute eher als Zumutung denn als Umschreibung einer sinnvollen Kongruenz individuellen und sozialen Bestrebens gelten mögen. Allerdings sind jüngste Änderungen des Sozialrechts u. a. auch als Rückgriff auf die damit thematisierten Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen interpretierbar, wie dies aus der Begründung des Regierungsentwurfs zum AFRG aufscheint, wenn Pflichten der Arbeitnehmer präzisiert und im § 2, III des SGB III festgeschrieben werden.

3.5 Berufsschutz als Element sozialer Stabilität

Lebensversicherungen können seit Jahrzehnten mit der Absicherung des Risikos der Berufsunfähigkeit kombiniert werden. Ein Berufsschadensausgleich (Berufsunfähigkeitsrente) wird gewährt, wenn nach einem Unfall oder einer Krankheit die Rückkehr in den zuvor ausgeübten Beruf nicht mehr möglich ist und neben Einkommenseinbußen der Verlust des sozialen Status droht. Eine Berufsunfähigkeitsrente wird allerdings nicht fällig, soweit den Versicherten "Verweisungsberufe" offen stehen, deren Ausübung die Einkommensminderung und den Statusverlust auf das "zumutbare" Maß begrenzen können (siehe dazu Blaschke/Plath 1994: 301 f.).

Einen Berufsschadensausgleich durch eine Berufsunfähigkeitsrente hat bislang auch das Rentenrecht für ausgebildete Fachkräfte bei gesundheitlich bedingtem Berufsverlust vorgesehen.

Daneben sind Rechtsnormen entwickelt worden, nach denen Arbeitslose, die im bisherigen Beruf nicht mehr unterkommen, bei Arbeitssuche und Vermittlung mindere Bedingungen akzeptieren müssen, wollen sie nicht ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren.

In allen drei Bereichen wurde der Beruf als schutzwürdiger und existenzsichernder Tatbestand definiert, der vergleichbar ist mit dem Eigentum an materiellen Gütern. Vorstellungen darüber, welche Minderung beim sozialen Status, beim Einkommen und bei der Verwertbarkeit der Fachqualifikation in darauf abgestimmter beruflicher Tätigkeit hinzunehmen seien, bestimmen sowohl Grenzen des für den einzelnen Zumutbaren als auch den Schadensausgleich bei gegebenem oder drohenden Berufsverlust. Grundlage für den Schadensausgleich ist jeweils der "Fachberuf", der über die Ausbildungsberufe nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG), über vom Kultusministerium anerkannte Fachberufe, oder über Bundes- und Landesgesetze geregelte Ausbildungen und Berufsausübungen in Gesundheits- und Sozialberufen definiert ist. Beruf als elementare Einheit von Ausbildung, Ausübung, Aufbau und Aufstieg wird auf diese Weise zum Nukleus von Vorstellungen, nach denen

  • die gesundheitlich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - und Berufsverlust durch Arbeitslosigkeit - als ein Schadensfall gilt,
  • der auszugleichen oder vom Betroffenen hinzunehmen ist, soweit sich der Verlust an Einkommen, Ansehen usw. in zumutbaren Grenzen hält.

Das basiert auf den folgenden beiden Prämissen:

  • Fachberufe werden durch staatlich anerkannte Abschlusszertifikate, teils ergänzt um die Berufszulassung, individuell zugeschrieben. Danach bemessen sich Status, Ansehen sowie Einkommenshöhe und Möglichkeiten der Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung.
  • Fachberufe legen fest, in welcher Enge oder Bandbreite Zugang zum jeweiligen Betätigungsfeld besteht.

Daraus wurden Vorstellungen darüber abgeleitet, in welchen Tätigkeitsfeldern Bedingungen herrschen, die an Verweisungsberufe bzw. an zumutbare Berufe zu stellen sind. Grundsätzlich basiert der Berufsschutz auf dem Kongruenzprinzip, wonach Normen zur Berufsausbildung das Profil der zugehörigen Arbeitsplätze und dort Einkommenshöhe, Status und damit die Allokation des Einzelnen bestimmen. Wird Beruf nicht mehr als Realität gesehen und interpretiert und durch andere Realitäten im Erwerbssystem verdrängt, müsste der Berufsschutz zu einem nachrangigen Rechtsgut absinken, was wegen der bislang nicht gefestigten Rechtsprechung ohnehin erkennbar gewesen sei (Hesse/Filthuth 1993: 529 ff.). Als Folge dieser Entwicklung ergibt sich die Aufweichung des Berufs an sich und der mit ihm verbundenen Elemente, also Berufswahl, Berufsausbildung, Berufsausübung sowie Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung.

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