Innerhalb der Diskussion um das Verhältnis zwischen Wissen und Handeln ist mittlerweile folgende Auffassung unumstritten: Wissen nimmt im Verhältnis zu Handeln zweierlei Funktionen ein. Einerseits entwickelt sich Wissen in der persönlichen Auseinandersetzung mit der durch eigenes Handeln generierten Erfahrung und andererseits ist das bereits bestehende Wissen gleichzeitig Ausgangspunkt für das Handeln selbst. Die Verarbeitung von Erfahrung durch Reflexion führt demnach zu neuem Wissen, welches wiederum Grundlage für weiteres Handeln darstellt (vgl. dazu exemplarisch Mandl, Gerstenmaier 2000, S. 12; Kolbe 2004, S. 207).

Angesichts der besonderen Rolle von Erfahrung lohnt es sich die Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln genauer zu betrachten. Hierfür lassen sich als Zugänge folgende zentrale Perspektiven der Kognitionspsychologie, der Systemtheorie und der Handlungstheorie nachzeichnen:

Kognitionspsychologische Ansätze gehen von impliziten Wissensformen aus, in denen Erfahrungen und Handlungsalternativen verknüpft sind.

Aus dieser Perspektive lässt sich zwischen wissenschaftlichem Wissen und Handlungswissen unterscheiden. Durch diese Unterscheidung erhält neben der Wissensrepräsentation auch die Art der Wissensaneignung Bedeutung für die Umsetzung in Handeln.

Es wird angenommen, dass sich Handeln durch bewusste und unbewusste Prozesse der Wissensanwendung generiert. Durch diese Verknüpfung erhält Wissen eine handlungssteuernde oder zumindest eine handlungsanleitende Funktion (vgl. Kolbe 2004, S. 208). Hieraus wird die Vorstellung eines Transfers von wissenschaftlichem Wissen in die Praxis des beruflichen (professionellen) Handelns abgeleitet. Allerdings wird dieser Transfer nicht als direkter Transfer verstanden. Vielmehr wird von einer Kluft zwischen Wissen und Handeln ausgegangen, da wissenschaftliche Theorien keine konkreten Aussagen über berufliche Handlungssituationen anbieten (vgl. exemplarisch Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 140). In der Konsequenz wird Wissen nur als ein Teil der Vorraussetzungen für kompetentes berufliches Handeln angesehen. Gruber macht anhand der Betrachtung von Experten deutlich, dass Wissen allein nicht für kompetentes Handeln ausreicht. Wirkliches Können baut dagegen auch auf Erfahrungen über den Umgang mit Wissen auf. Kompetentes Handeln wird demnach nicht nur als reine Wissensaneignung verstanden, sondern als situationsabhängige Verknüpfung von bereits erfahrenen komplexen Wissensstrukturen (vgl. Gruber 1999, S. 87; Gruber, Rehrl 2005, S. 13).

Systemtheoretische Ansätze verstehen jeden sozialen Kontakt als System. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht die Frage nach der jeweiligen Funktion für das System. Wissen und Handeln werden auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden betrachtet. Auslöser der für Wissen und Handeln verantwortlichen Prozesse sind psychische Systeme und gleichzeitig auch soziale Systeme, die auf verschiedenen Regulationsebenen miteinander verknüpft operieren. Weiter wird davon ausgegangen, dass eine (sinnhafte) Differenzierung der Systeme nur durch Selbstreferenz erfolgen kann, da alle Elemente und Operationen auf sich selbst bezogen und in Abgrenzung zu anderen konstituiert werden. Über diese operationelle Geschlossenheit erfolgt allerdings auch eine Selbstbeschreibung der Systeme, welche vorgibt in welcher Weise mit anderen Systemen operiert wird. Diese operationale Geschlossenheit der Systeme stellt demnach auch die Voraussetzung für die jeweilige Offenheit dar (vgl. dazu Luhmann 1984, S. 656; Maturana, Varela 1987, S. 55). Wissen wird als kognitive Erwartung des Systems verstanden, welche durch Kommunikation ausgebildet wird. Gleichzeitig strukturieren die bereits ausgebildeten Erwartungen - respektive das bereits vorhandene Wissen - die zukünftigen Kommunikationen und damit die Handlungen. Aus dieser Sicht heraus, erhält Wissen nur über seine Funktion innerhalb des Systems an Bedeutung. Demnach kann Wissen nur im Zusammenhang mit dem System sinnvoll verwendet werden, da das Wissen anderer Systeme einer anderen funtionalen Logik unterliegt. Deshalb wird angenommen, dass wissenschaftliches Wissen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern ist. Aber auch umgekehrt kann Handeln innerhalb eines Systems wiederum Wissen hervorbringen. Unterstützend wirken dabei konkret erfahrene Ereignisse, welche mit dem Handeln verknüpft sind und gleichzeitig das erworbene Wissen anbinden (vgl. dazu exemplarisch von Cranach, Bangerter 2000, S. 229 f.).

Handlungstheoretische Ansätze zeichnen durch den weitgehenden Verzicht einer gesellschaftlichen Analyse, ein differenziertes Bild des menschlichen Handelns innerhalb der sozialen Interaktion nach. Dieser Ansatz legt seinen Fokus gleichzeitig auf die Ebene des Handelns und auf Interaktionssituationen von Akteuren.

Ausgegangen wird von einem Menschen als handelnder Organismus, welcher die Welt aus seiner Sicht interpretiert und entsprechend aktiv gestaltet. Zwischen Objekt und Handlung liegt die jeweilige Bedeutung, die der Handlung zugeschrieben wird. Die Bedeutung von Handlungen konstruiert sich über die Auseinandersetzung mit den anderen Interaktionsteilnehmern innerhalb der bereits existierenden Gesellschaft und deren Deutungsprozesse (vgl. exemplarisch Münch 2002, S. 260). Vor diesem Hintergrund lässt sich Handeln im Sinne von Können als sozial ausgehandelt verstehen, da es sich auf die Bewältigung der beruflichen Anforderungen richtet. Wissenschaftliches Wissen wird demnach in Abhängigkeit der bereits erfahrenen Interaktionsprozesse interpretiert und entsprechend in Handeln umgesetzt. Dieser Annahme folgend, ist wissenschaftliches Wissen nicht allein hinreichend für berufliches (professionelles) Handeln. Die Relevanz von Erfahrungen ist darin zu sehen, dass Erfahrungen Wissensbestände gewissermaßen anreichern und auf diese Weise eine notwendige Ergänzung zur Förderung pädagogischer und didaktischer Handlungskompetenzen darstellen (vgl. dazu Etzrodt 2003, S. 212; Kolbe 2004, S. 211).

Im folgenden Schaubild werden Ausgangspunkt, Annahme und die Bedeutung von Erfahrung der skizzierten Perspektiven zusammengefasst dargestellt:

 

Kognitionspsychologische Perspektive Systemtheoretische Perspektive Handlungstheoretische Perspektive
Ausgangspunkt Unterscheidung in wissenschaftliches Wissen und Handlungswissen Systemspezifische Differenzierung von Wissen und Handeln durch Selbstreferenz Unterscheidung in wissenschaftliches Wissen und sozial bedeutsames Wissen
Annahme Handlungsleitende Funktion von bewusstem und unbewusstem Wissen Wissen steuert Handeln und Handeln bringt Wissen hervor Bedeutung von Wissen wird sozial ausgehandelt und in Handeln umgesetzt
Die Bedeutung von Erfahrung Erfahrung als Grundlage für kompetentes Handeln Erfahrene Ereignisse, die mit Wissen und Handeln verknüpft sind, wirken unterstützend auf kompetentes Handeln Erfahrung reichert Wissen an und ergänzt kompetentes Handeln

Schaubild : Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln, Quelle: eigene.

Zusammenfassend ergibt sich aus den dargelegten Perspektiven, dass in komplexen Lehr-Lern-Prozessen verschiedene Wissensformen von Bedeutung sind und deshalb bei der Gestaltung entsprechender Lernumgebungen zu berücksichtigen sind. Es lassen sich folgende Wissensformen herausstellen:

  • Erfahrungswissen
  • Handlungswissen
  • Wissenschaftliches Wissen
  • Sozial bedeutsames Wissen