Die aktuelle Diskussion um Standards für die Lehrerbildung basiert auf der Annahme von Wirkungszusammenhängen zwischen Lehrerbildung und professionellem Handeln von Lehrerinnen und Lehrern. Hinter der Idee Standards und Kompetenzen für die Lehrerbildung zu entwickeln, steht eine professionalisierungstheoretische Position. Es wird angenommen, dass die Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern erlernbar ist und im Kontext eines langwierigen berufsbiographischen Entwicklungsprozesses steht. Mit Blick auf professionelles Handeln in Schule und Unterricht wird dieser Vorstellung entsprechend von einer komplexen Kompetenz ausgegangen, die vielfältige Wissensbereiche, individuelle Einstellungen und persönliche Verhaltensmerkmale miteinander vernetzt repräsentiert (vgl. dazu Giesecke 2001, S. 192; Terhart 2005, S. 275; Lange 2005, S. 45).

In der Literatur finden sich unterschiedliche Zugänge über das Beziehungsgeflecht zwischen wissenschaftlichem Wissen, beruflichem Handeln und der individuellen Berufsbiographie von Lehrerinnen und Lehrern.

Bauer, Kopka und Brindt führen in ihrer Studie von 1996 zur Erklärung der persönlichen Weiterentwicklung von Lehrenden die Vorstellung eines "professionellen Selbst" ein. Unter diesem Begriff verstehen die Autoren ein Zentrum, von dem aus Lehrerinnen und Lehrer ihr pädagogisches Handeln organisieren. Das "professionelle Selbst" entwickelt sich von sich aus selbst, indem es sich eigene Ziele setzt sowie Fachwissen, Wahrnehmungen und Feedback nach seinem eigenen Sinn miteinander verknüpft und auf diese Weise durch seine Handlungen für Andere sichtbar wird. Es wird als auswählende, ordnende, entscheidende und handelnde Instanz verstanden, welche Zusammenhänge herstellt und seine Entwicklung selbst steuert (vgl. Bauer, Kopka, Brindt 1996, S. 234; Bauer 2002, S. 54 f). Das "professionelle Selbst" korrespondiert mit dem Begriff der Lehrerpersönlichkeit, da ihm ein steuerndes Bewusstsein hinsichtlich seiner eigenen Entwicklung zugesprochen wird. Es erfährt sich durch pädagogische Interaktionen und erhält hierüber auch Rückschlüsse über die Wirksamkeit des eigenen Handelns (vgl. Bauer 1998, S. 344; Bauer 2002, S. 56).

In Studien zur Situation, Belastung sowie zu Handlungsmustern und Berufsbiographien von Lehrerinnen und Lehrern finden sich weitere Hinweise auf die unterschiedliche Ausgestaltung von pädagogischem Handeln. Bedeutend ist, dass von unbewussten Handlungsmustern und -repertoires der Lehrenden ausgegangen wird, die sich in der komplexen Struktur von Unterricht immer wieder neu und situativ anders zu bewähren haben (vgl. Combe, Helsper 2002, S.37). Diese Momente der Ungewissheit im alltäglichen Handeln von Lehrerinnen und Lehrern erfordern eine selbstkritische und selbstreflexive Haltung, welche das eigene Handeln theoretisch und praktisch begründet. Hierfür sollten Handlungsmöglichkeiten bzw. Handlungsalternativen nicht allein auf kognitiver Ebene zur Verfügung stehen, sondern gleichzeitig in Form von Erfahrungen auf konkrete Situationen rückführbar sein, damit diese auch unter alltäglichem Handlungsdruck zur Verfügung stehen können (vgl. hierzu Czerwenka 2004, S. 67).

Gruber und Rehrl stellen in diesem Zusammenhang die bedeutende Funktion von theoretisch fundierter Reflexion für Lernprozesse heraus. Sie machen deutlich, dass umfangreiches theoretisches Wissen dazu beiträgt, die eigenen Erfahrungen selbst zu bewerten und mit bereits erfahrenen Wissensstrukturen zu verknüpfen (vgl. Gruber, Rehrl 2005, S. 13 f.).

Kolbe macht anhand der Betrachtung von Experten deutlich, dass Wissen allein nicht mit Können - im Sinne von Bewältigung - gleich zu setzen ist und Können sich auch nicht allein durch Wissensbestände erfassen lässt. Für ihn basiert ein Handeln-Können, sofern es nicht auf Routinen beruht, auf der Erfahrung und Reflexion der Wissensanwendung bzw. der -verwendung in erfolgreich bewältigten Handlungssituationen. Demnach ist das Können von Erfahrenen schwerlich in Regeln und auch nicht allein als Wissen zu erfassen (vgl. Kolbe 2004, S. 208).

Konsens scheint darin zu bestehen, dass für die kompetente Bewältigung der komplexen Anforderungssituationen von Lehrerinnen und Lehrern, ein Geflecht aus wissenschaftlichem Wissen, Handlungswissen, Reflexion und Erfahrung als charakteristisch angesehen wird. Daraus ergibt sich für die Lehrerbildung, dass die Verschränkung von inhaltlicher, prozessbezogener und persönlicher Ebene stärker in den Mittelpunkt zu rücken ist (vgl. dazu auch Terhart 2002, S. 32; Bauer 2002, S. 50; Fried 2004, S. 237).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit angehende Lehrerinnen und Lehrer bereits in der universitären Phase der Lehrerbildung auf die komplexen beruflichen Anforderungssituationen des schulischen Alltags vorbereitet werden können.

Ein Ansatz findet sich in den Befunden der Expertiseforschung, die sich mit dem Einfluss von Erfahrung auf die Entwicklung von Expertise als herausragende Kompetenz beschäftigt. Untersucht werden die Bedingungen für herausragende menschliche Leistung sowie instruktionale Möglichkeiten zur Förderung. Es wird davon ausgegangen, dass konkrete Erfahrung abstrahiert und in Verbindung mit deklarativem Fachwissen in Handeln umgesetzt werden kann (vgl. Gruber, Mandl 1996, S. 18).

Als zentraler Befund ist mittlerweile unbestritten, dass sich Expertise von Experten vergleichsweise eng und meistens nur im Kontext der eigenen Fachwissenschaft oder bereits erfahrener Situationen ausbildet. Dies verweist deutlich darauf, welche zentrale Rolle domänenspezifische Situationen und somit konkrete Erfahrungen für den Erwerb von Expertise einnehmen (vgl. dazu Gruber 2001, S.166 f; Gruber, Leutner 2003, S. 265). Für die Lehrerbildung ergibt sich hieraus die Frage, wie Erfahrung bereits in der Universität ermöglicht werden kann.

In diesem Beitrag wird aus (hochschul-) didaktischer Perspektive der Bedeutung von Erfahrung für die Lehrerbildung nachgegangen.

Hierfür werden die Theorie des situierten Lernens sowie die darauf aufbauenden Überlegungen zur Gestaltung von Lernumgebungen zur Diskussion gestellt.

Zur weiteren Klärung hinsichtlich der Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln werden zentrale Positionen der Kognitionspsychologie, der Systemtheorie und der Handlungstheorie herausgearbeitet.

Abschließend werden lehr-lern-theoretische Konsequenzen anhand einer Projektidee "Atelier für angeleitete Erfahrung" für die 1. Phase der wirtschaftsberuflichen Lehrerbildung zur Diskussion gestellt.