Während früher dem Gymnasium die Rolle der Wissenschaftspropädeutik zufiel, ist heute das gesamte gegliederte Schulwesen auf Wissenschaftsorientierung verpflichtet. Die Stundentafel der Hauptschule ist, abgesehen von der im Gymnasium obligatorischen zweiten Fremdsprache, eine Imitation der Gymnasialbildung. Dabei wird hartnäckig ignoriert, dass in der Hauptschule die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit abgrundtief ist, ja, dass selbst im Gymnasium die veränderte Schülerpopulation mit der zugemuteten kognitiven Wissensaneignung falsch bedient ist. Fauser u.a. haben bereits 1983 den Irrtum einer gymnasialen Leitkultur für alle anderen Schularten denunziert. Hurrelmann bemerkt:

"Von Bildungspolitikern aller Lager ungewollt, aber durch die Macht der Verhältnisse unaufhaltsam, herrschen in unserem Schulwesen als heimliche oder offene Zielmaximen Verwissenschaftlichung, Verfachlichung, Abstrahierung und individualistische Konkurrenzorientierung vor......." (Hurrelmann 1988)

Zwar gibt es im Fächerkanon der allgemeinbildenden Schule Angebote, die sich gegen eine wissenschaftliche Ableitung sperren, dazu gehören die Fächer Kunst, Sport, Musik und Arbeitslehre, ihr geringer Stundenanteil oder gar totale Wegfall bestätigen jedoch den Verdacht eines "Zwei-Klassen-Kanons". Die Beliebtheit der marginalisierten Fächer verhält sich übrigens umgekehrt proportional zu dem dürftigen Angebot, das Schüler vorfinden. In den Augen der Schulbürokratie und weiter Teile der Öffentlichkeit gelten "wissenschaftlich legitimierte" Fächer als höherwertig.

Es ist hier nicht der Platz, um die Überschätzung des Wissenschaftssystems als oberste Instanz für Schulcurricula zu hinterfragen. Verwiesen sei jedoch auf Luhmanns Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme und die damit erkennbare Situation, dass Wissenschaft weder einen Führungsanspruch noch absolute Geltung beanspruchen kann. Das Rechtssystem beeinflusst Wissenschaft über Rechtsnormen, das Wirtschaftssystem limitiert Wissenschaft mit dem Rentabilitätsprinzip und das politische System lässt Wissenschaft nur nach Maßgabe von Opportunität zu. Den wissenschaftlichen Code selbst, der sich als wahr oder falsch etabliert hat, stellt Luhmann in Frage: Das Wahre sei oft nur mit der Krücke einer Ceteris-paribus-Klausel zu haben. (Luhmann 1990)

Man muss nicht mit dem neuen amerikanischen Präsidenten sympathisieren, der jenen Schulen aufhelfen will, die Darwins Evolutionstheorie als Irrlehre aus dem Unterricht verbannen, aber man muss darin erinnern, dass das weit fortgeschrittene Auflösungs- und Rekombinationsvermögen der modernen Wissenschaft keine Garantie für das Weltverstehen von Jugendlichen ist.