Geschichtsdidaktik versteht sich seit etwa einem Vierteljahrhundert mehrheitlich als Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein und vom historischen Lernen (z. B. Jeismann 2000a, 81, Rohlfes 1999, 19 f.). Diese Neuaufstellung als Disziplin entwickelte sich aus einer Position der Defensive. Sie stand in engem Zusammenhang mit dem Versuch von Geschichtswissenschaft und Historik, der Dominanz naturwissenschaftlicher Wissenschaftsnormen - vor allem: nomologische Erklärungsstruktur und Idee der Einheitswissenschaft - und dem Siegeszug der Sozialwissenschaften etwas entgegenzusetzen. In diesem Kontext wurde das narrativistische Paradigma in Fachwissenschaft und Fachdidaktik stark gemacht. Es etabliert das historische Erzählen realer vergangener Vorkommnisse als einen eigenen Erklärungstyp. "Erzählen macht aus Zeit Sinn, indem es die Zeitfolge von Vorkommnissen (...) in einen inneren Zusammenhang dieser Vorkommnisse selbst bringt" und dabei "eine Orientierungsfunktion" in der Gegenwart übernimmt (Rüsen 1996, 508). Mit diesem breiten Selbstverständnis hat sich Geschichtsdidaktik als eigenständige Disziplin von Geschichtswissenschaft und Erziehungswissenschaft emanzipiert und zugleich die Dominanz von Schul- und Unterrichtsbezug überwunden; gleichwohl ist ihr Status nicht unumstritten (S. 505).

Politikdidaktik versteht sich mehrheitlich als Wissenschaft vom politischen Lernen. Sie positioniert sich als doppelte Teildisziplin, einerseits von Politikwissenschaft - manche nehmen Bezüge zu Soziologie und Ökonomik hinzu -, andererseits von Erziehungswissenschaft (Sander 1997, 19 u. 21). Damit bleibt der disziplinäre Geltungsanspruch des politikdidaktischen Mainstreams bescheidener als der der Geschichtsdidaktik. Das gilt sowohl in der Dimension des Forschungsgegenstandes als auch in der des disziplinären Selbstbewusstseins.

Betrachtet man Geschichtsdidaktik und Politikdidaktik auf der Ebene von Zielvorstellungen und Prinzipien, findet man bei historischer und politischer Bildung eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Gemeinsame Felder bilden beispielweise Aufklärung und reflektierte Distanz gegenüber der Gegenwart und kommunikative Verflüssigung ihrer verfestigten Verhältnisse, Multiperspektivität, Perspektivenwechsel und Fremdverstehen, Pluralität und Kontroversität sowie Diskursfähigkeit trotz divergenter politischer Normen und Positionen.

Die meisten Dimensionen des Pandelschen Konzepts von Geschichtsbewusstsein gehören auch zum Kern der Politikdidaktik: Wirklichkeitsbewusstsein, Identitätsbewusstsein, politisches [/S. 114:] Bewusstsein, ökonomisch-soziales Bewusstsein und moralisches Bewusstsein (Pandel 1987, 132-138).

So viel Gemeinsamkeit bei Programmatik und Prinzipien lässt eine historisch-politische Bildung als naheliegend, sinnvoll und wünschenswert erscheinen. Aber auf der Ebene der allgemeinen Ziele zeigen sich nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Divergenzen zwischen politischer und historischer Bildung. Politische Bildung, so argumentiert Hans-Jürgen Pandel, solle Orientierung in der Gegenwart und für die absehbare Zukunft und für politisches Handeln geben, historische Bildung dagegen beanspruche Orientierung in der Zeit, ohne handlungsbezogen sein zu können (Pandel 1997, 321). Der "Bindestrichbegriff" politisch-historische Bildung verdecke diese beiden grundsätzlich unterscheidbaren Bewusstseinsstrategien, die gleichwohl aufeinander bezogen seien (S. 321). Politisches Bewusstsein sei auf Handeln in der Dimension Macht und Herrschaft gerichtet; historischem Bewusstsein dagegen gehe es um die kontingenten Erfahrungen der Lebenspraxis und darum, sie so zu deuten, dass ein sinnvoller Zeitzusammenhang, eine Geschichte konstruiert werden könne (S. 321 f.). Politisches Bewusstsein mache Bedingungen und Möglichkeiten des Handelns klar und verfügbar, historisches Bewusstsein gebe politischem Handeln Orientierung (S. 322).

Das Verhältnis der Disziplinen Politikdidaktik und Geschichtsdidaktik scheint seit langem durch eine merkwürdige Spannung zwischen Fremdheit und Nähe, Divergenz und Konvergenz, Konkurrenz und Kooperation geprägt. Beide blicken - aus unterschiedlichen Perspektiven - auf eine gemeinsame, wechselvolle Geschichte zurück. Man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Eigenständigkeit einer politischen Bildung neben dem Schulfach Geschichte, an die heftigen Konflikte um die Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre oder an die faktische Fächerhierarchie der gymnasialen Oberstufe.

Das Verhältnis der beiden Fachdidaktiken ist unklar und ambivalent, eine historisch-politische Bildung steht theoretisch auf unsicherem Boden. Das zeigt auch ein kurzer Blick auf die Versuche, das Problem der fachdidaktischen Identität und der interdisziplinären Abgrenzung zu lösen, indem man auf unterschiedliche Disziplinbezüge und Erkenntnisweisen setzt.