Ausgehend von Lehrerbildung als berufsbiographischen Entwicklungsprozess geht Brita Spieler aus (hochschul-) didaktischer Perspektive der Bedeutung von Erfahrung für die Gestaltung von Lernumgebungen nach und konkretisiert ihre Überlegungen anhand einer Projektidee "Atelier für angeleitete Erfahrung" für die 1. Phase der wirtschaftsberuflichen Lehrerbildung. Hierfür stellt sie die Theorie des situierten Lernens sowie zentrale Positionen der Kognitionspsychologie, der Systemtheorie und der Handlungstheorie zur Diskussion.
Die aktuelle Diskussion um Standards für die Lehrerbildung basiert auf der Annahme von Wirkungszusammenhängen zwischen Lehrerbildung und professionellem Handeln von Lehrerinnen und Lehrern. Hinter der Idee Standards und Kompetenzen für die Lehrerbildung zu entwickeln, steht eine professionalisierungstheoretische Position. Es wird angenommen, dass die Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern erlernbar ist und im Kontext eines langwierigen berufsbiographischen Entwicklungsprozesses steht. Mit Blick auf professionelles Handeln in Schule und Unterricht wird dieser Vorstellung entsprechend von einer komplexen Kompetenz ausgegangen, die vielfältige Wissensbereiche, individuelle Einstellungen und persönliche Verhaltensmerkmale miteinander vernetzt repräsentiert (vgl. dazu Giesecke 2001, S. 192; Terhart 2005, S. 275; Lange 2005, S. 45).
In der Literatur finden sich unterschiedliche Zugänge über das Beziehungsgeflecht zwischen wissenschaftlichem Wissen, beruflichem Handeln und der individuellen Berufsbiographie von Lehrerinnen und Lehrern.
Bauer, Kopka und Brindt führen in ihrer Studie von 1996 zur Erklärung der persönlichen Weiterentwicklung von Lehrenden die Vorstellung eines "professionellen Selbst" ein. Unter diesem Begriff verstehen die Autoren ein Zentrum, von dem aus Lehrerinnen und Lehrer ihr pädagogisches Handeln organisieren. Das "professionelle Selbst" entwickelt sich von sich aus selbst, indem es sich eigene Ziele setzt sowie Fachwissen, Wahrnehmungen und Feedback nach seinem eigenen Sinn miteinander verknüpft und auf diese Weise durch seine Handlungen für Andere sichtbar wird. Es wird als auswählende, ordnende, entscheidende und handelnde Instanz verstanden, welche Zusammenhänge herstellt und seine Entwicklung selbst steuert (vgl. Bauer, Kopka, Brindt 1996, S. 234; Bauer 2002, S. 54 f). Das "professionelle Selbst" korrespondiert mit dem Begriff der Lehrerpersönlichkeit, da ihm ein steuerndes Bewusstsein hinsichtlich seiner eigenen Entwicklung zugesprochen wird. Es erfährt sich durch pädagogische Interaktionen und erhält hierüber auch Rückschlüsse über die Wirksamkeit des eigenen Handelns (vgl. Bauer 1998, S. 344; Bauer 2002, S. 56).
In Studien zur Situation, Belastung sowie zu Handlungsmustern und Berufsbiographien von Lehrerinnen und Lehrern finden sich weitere Hinweise auf die unterschiedliche Ausgestaltung von pädagogischem Handeln. Bedeutend ist, dass von unbewussten Handlungsmustern und -repertoires der Lehrenden ausgegangen wird, die sich in der komplexen Struktur von Unterricht immer wieder neu und situativ anders zu bewähren haben (vgl. Combe, Helsper 2002, S.37). Diese Momente der Ungewissheit im alltäglichen Handeln von Lehrerinnen und Lehrern erfordern eine selbstkritische und selbstreflexive Haltung, welche das eigene Handeln theoretisch und praktisch begründet. Hierfür sollten Handlungsmöglichkeiten bzw. Handlungsalternativen nicht allein auf kognitiver Ebene zur Verfügung stehen, sondern gleichzeitig in Form von Erfahrungen auf konkrete Situationen rückführbar sein, damit diese auch unter alltäglichem Handlungsdruck zur Verfügung stehen können (vgl. hierzu Czerwenka 2004, S. 67).
Gruber und Rehrl stellen in diesem Zusammenhang die bedeutende Funktion von theoretisch fundierter Reflexion für Lernprozesse heraus. Sie machen deutlich, dass umfangreiches theoretisches Wissen dazu beiträgt, die eigenen Erfahrungen selbst zu bewerten und mit bereits erfahrenen Wissensstrukturen zu verknüpfen (vgl. Gruber, Rehrl 2005, S. 13 f.).
Kolbe macht anhand der Betrachtung von Experten deutlich, dass Wissen allein nicht mit Können - im Sinne von Bewältigung - gleich zu setzen ist und Können sich auch nicht allein durch Wissensbestände erfassen lässt. Für ihn basiert ein Handeln-Können, sofern es nicht auf Routinen beruht, auf der Erfahrung und Reflexion der Wissensanwendung bzw. der -verwendung in erfolgreich bewältigten Handlungssituationen. Demnach ist das Können von Erfahrenen schwerlich in Regeln und auch nicht allein als Wissen zu erfassen (vgl. Kolbe 2004, S. 208).
Konsens scheint darin zu bestehen, dass für die kompetente Bewältigung der komplexen Anforderungssituationen von Lehrerinnen und Lehrern, ein Geflecht aus wissenschaftlichem Wissen, Handlungswissen, Reflexion und Erfahrung als charakteristisch angesehen wird. Daraus ergibt sich für die Lehrerbildung, dass die Verschränkung von inhaltlicher, prozessbezogener und persönlicher Ebene stärker in den Mittelpunkt zu rücken ist (vgl. dazu auch Terhart 2002, S. 32; Bauer 2002, S. 50; Fried 2004, S. 237).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit angehende Lehrerinnen und Lehrer bereits in der universitären Phase der Lehrerbildung auf die komplexen beruflichen Anforderungssituationen des schulischen Alltags vorbereitet werden können.
Ein Ansatz findet sich in den Befunden der Expertiseforschung, die sich mit dem Einfluss von Erfahrung auf die Entwicklung von Expertise als herausragende Kompetenz beschäftigt. Untersucht werden die Bedingungen für herausragende menschliche Leistung sowie instruktionale Möglichkeiten zur Förderung. Es wird davon ausgegangen, dass konkrete Erfahrung abstrahiert und in Verbindung mit deklarativem Fachwissen in Handeln umgesetzt werden kann (vgl. Gruber, Mandl 1996, S. 18).
Als zentraler Befund ist mittlerweile unbestritten, dass sich Expertise von Experten vergleichsweise eng und meistens nur im Kontext der eigenen Fachwissenschaft oder bereits erfahrener Situationen ausbildet. Dies verweist deutlich darauf, welche zentrale Rolle domänenspezifische Situationen und somit konkrete Erfahrungen für den Erwerb von Expertise einnehmen (vgl. dazu Gruber 2001, S.166 f; Gruber, Leutner 2003, S. 265). Für die Lehrerbildung ergibt sich hieraus die Frage, wie Erfahrung bereits in der Universität ermöglicht werden kann.
In diesem Beitrag wird aus (hochschul-) didaktischer Perspektive der Bedeutung von Erfahrung für die Lehrerbildung nachgegangen.
Hierfür werden die Theorie des situierten Lernens sowie die darauf aufbauenden Überlegungen zur Gestaltung von Lernumgebungen zur Diskussion gestellt.
Zur weiteren Klärung hinsichtlich der Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln werden zentrale Positionen der Kognitionspsychologie, der Systemtheorie und der Handlungstheorie herausgearbeitet.
Abschließend werden lehr-lern-theoretische Konsequenzen anhand einer Projektidee "Atelier für angeleitete Erfahrung" für die 1. Phase der wirtschaftsberuflichen Lehrerbildung zur Diskussion gestellt.
Eine Theorie, welche die Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln aufgreift, ist die Theorie des situierten Lernens. Sie befasst sich aus pädagogisch-psychologischer Perspektive mit Problemen des Lehrens und Lernens sowie der Gestaltung von Lernumgebungen.
Wissenserwerb wird als kontextgebunden aufgefasst und es wird davon ausgegangen, dass Wissen nur mit den Bedingungen verknüpft repräsentierbar ist, in denen es erworben wurde (vgl. dazu exemplarisch Klauer 2001).
Aus dieser Perspektive entwickelt sich Expertise aus einer langwährenden Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Gegenstandsbereichs (vgl. dazu ausführlicher Gruber 1999). Erfahrung und Kompetenz werden als sozial ausgehandelt verstanden und spielen deshalb für Prozesse des sozialen Lernens und Verstehens eine bedeutende Rolle (vgl. Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 144; Gräsel, Parchmann 2004, S.173).
Theorien des situierten Lernens bauen auf zwei Grundannahmen auf, die auf den Erwerb von Erfahrung abzielen: Zunächst wird angenommen, dass erlebte Situationen, die markant genug sind, um als Episode erinnert und in künftigem Handeln berücksichtigt zu werden, sozial geprägt sind (Lernen ist situiert). Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass sich kognitive Prozesse nicht allein im Individuum abspielen, sondern vor allem im Austausch mit Anderen (Lernen ist zu wesentlichen Teilen soziale Kognition) (vgl. dazu Gruber 1999, S. 151; Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 143).
Im Kontext dieser Grundannahmen werden Lernen und Kompetenzerwerb nicht als individueller Fortschritt, sondern als Hineinwachsen in eine community of practice (vgl. Lave, Wenger 2002) verstanden. Die Mitglieder einer Gemeinschaft erwerben die für diese Gemeinschaft gültigen Sichtweisen und Problemlösestrategien durch den sozialen Austausch untereinander. Als primärer Ort des Lernens wird nicht die Einzelperson verstanden, sondern die sozial strukturierte Gemeinschaft in situierten Kontexten. Angesprochen werden damit Kompetenzen, die sich in der sozialen Auseinandersetzung mit der Praxis und durch den Austausch von Erfahrungswissen herausgebildet haben (vgl. Gruber 1999, S. 165; Lave, Wenger 2002, S. 29).
Vor diesem Hintergrund ist der cognitive apprenticeship Ansatz von Bedeutung, da er, beispielhaft für Lernen durch angeleitete Erfahrung, drei grundlegende Strategien miteinander verbindet: Nachahmung, angeleitete Erprobung und selbständiges Problemlösen. Dieser Ansatz geht auf Collins, Brown & Newman (1989 ) zurück und orientiert sich am Modell der traditionellen Handwerkslehre. Die Lernenden werden in diesem Ansatz über praxisnahe Anleitung und soziale Interaktion in die Expertengemeinschaft eingeführt. Es wird angenommen, dass durch eine äußere Anleitung kognitive Kompetenzen in ähnlicher Weise wie handwerkliche Fertigkeiten auf der Basis sozialer Interaktionen Gegenstand von Reflektion und Rückmeldungen werden können (vgl. dazu Gruber, Mandl, Renkl 2000, S.145). Solch ein Lernprozess findet idealerweise in sechs Schritten statt:
Das Lernen beginnt mit der Bearbeitung realer Problemstellungen, indem der Experte dabei sein Vorgehen demonstriert und seine Aktivitäten und Gedanken verbalisiert (modelling). Anschließend befassen sich die Lernenden selber mit dem Problem und werden dabei individuell und situationsbezogen durch Hinweise und Rückmeldungen unterstützt (coaching und scaffolding). Darauf wird die Lernumgebung zunehmend komplexer und unterschiedlicher gestaltet. Beabsichtigt wird, die Lernenden in die Lage zu versetzen, ihr Wissen flexibel auf neue Kontexte anzuwenden. Die Unterstützung durch den Experten wird dann allmählich ausgeblendet (fading), um sie von der Unterstützung unabhängig zu machen, indem sie selber Ziele und Strategien zur Problemlösung entwickeln. Sie werden im gesamten Verlauf des Lernprozesses immer wieder aufgefordert, ihre Denkprozesse und Lösungsstrategien zu artikulieren (articulation) und untereinander zu reflektieren (reflection). Auf diese Weise wird ein sozial-kommunikativer Austausch untereinander gefördert, der ihnen die Möglichkeit bietet, sich mit unterschiedlichen Lösungsalternativen und verschiedenen Standpunkten auseinandersetzen. Abschließend werden sie dazu angeregt, Probleme selbständig zu lösen (exploration) (vgl. dazu Gruber 1999, S. 180; Straka, Macke 2002, S. 127).
Der kooperative Charakter des cognitive apprenticeship Ansatzes und seine besondere Verknüpfung von Beobachtung, Anleitung und zunehmend selbständiger Erprobung ermöglichen den Lernenden, ihr individuelles Vorgehen selbst zu überprüfen und zu beurteilen. Angestrebt wird, über reflexiv zugängliche Erfahrung, Anreize und Strategien zur Selbststeuerung des eigenen Lernprozesses anzubieten.
Das zentrale Anliegen dieses Ansatzes ist, Lernen durch Instruktion und Konstruktion innerhalb einer sozialen Gemeinschaft von Lernenden und Experten zu initiieren. Hierfür sind Lernprozesse in zunehmend komplexer werden Kontexten anzuregen, zu unterstützen und zu reflektieren. Gleiches gilt für die Förderung von Metakognition. Die Anleitung sollte durch eine gezielte Hilfestellung erfolgen und im weiteren Verlauf allmählich reduziert werden.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die Gestaltung von situierten Lernumgebungen folgende Anforderungen:
Innerhalb der Diskussion um das Verhältnis zwischen Wissen und Handeln ist mittlerweile folgende Auffassung unumstritten: Wissen nimmt im Verhältnis zu Handeln zweierlei Funktionen ein. Einerseits entwickelt sich Wissen in der persönlichen Auseinandersetzung mit der durch eigenes Handeln generierten Erfahrung und andererseits ist das bereits bestehende Wissen gleichzeitig Ausgangspunkt für das Handeln selbst. Die Verarbeitung von Erfahrung durch Reflexion führt demnach zu neuem Wissen, welches wiederum Grundlage für weiteres Handeln darstellt (vgl. dazu exemplarisch Mandl, Gerstenmaier 2000, S. 12; Kolbe 2004, S. 207).
Angesichts der besonderen Rolle von Erfahrung lohnt es sich die Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln genauer zu betrachten. Hierfür lassen sich als Zugänge folgende zentrale Perspektiven der Kognitionspsychologie, der Systemtheorie und der Handlungstheorie nachzeichnen:
Kognitionspsychologische Ansätze gehen von impliziten Wissensformen aus, in denen Erfahrungen und Handlungsalternativen verknüpft sind.
Aus dieser Perspektive lässt sich zwischen wissenschaftlichem Wissen und Handlungswissen unterscheiden. Durch diese Unterscheidung erhält neben der Wissensrepräsentation auch die Art der Wissensaneignung Bedeutung für die Umsetzung in Handeln.
Es wird angenommen, dass sich Handeln durch bewusste und unbewusste Prozesse der Wissensanwendung generiert. Durch diese Verknüpfung erhält Wissen eine handlungssteuernde oder zumindest eine handlungsanleitende Funktion (vgl. Kolbe 2004, S. 208). Hieraus wird die Vorstellung eines Transfers von wissenschaftlichem Wissen in die Praxis des beruflichen (professionellen) Handelns abgeleitet. Allerdings wird dieser Transfer nicht als direkter Transfer verstanden. Vielmehr wird von einer Kluft zwischen Wissen und Handeln ausgegangen, da wissenschaftliche Theorien keine konkreten Aussagen über berufliche Handlungssituationen anbieten (vgl. exemplarisch Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 140). In der Konsequenz wird Wissen nur als ein Teil der Vorraussetzungen für kompetentes berufliches Handeln angesehen. Gruber macht anhand der Betrachtung von Experten deutlich, dass Wissen allein nicht für kompetentes Handeln ausreicht. Wirkliches Können baut dagegen auch auf Erfahrungen über den Umgang mit Wissen auf. Kompetentes Handeln wird demnach nicht nur als reine Wissensaneignung verstanden, sondern als situationsabhängige Verknüpfung von bereits erfahrenen komplexen Wissensstrukturen (vgl. Gruber 1999, S. 87; Gruber, Rehrl 2005, S. 13).
Systemtheoretische Ansätze verstehen jeden sozialen Kontakt als System. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht die Frage nach der jeweiligen Funktion für das System. Wissen und Handeln werden auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden betrachtet. Auslöser der für Wissen und Handeln verantwortlichen Prozesse sind psychische Systeme und gleichzeitig auch soziale Systeme, die auf verschiedenen Regulationsebenen miteinander verknüpft operieren. Weiter wird davon ausgegangen, dass eine (sinnhafte) Differenzierung der Systeme nur durch Selbstreferenz erfolgen kann, da alle Elemente und Operationen auf sich selbst bezogen und in Abgrenzung zu anderen konstituiert werden. Über diese operationelle Geschlossenheit erfolgt allerdings auch eine Selbstbeschreibung der Systeme, welche vorgibt in welcher Weise mit anderen Systemen operiert wird. Diese operationale Geschlossenheit der Systeme stellt demnach auch die Voraussetzung für die jeweilige Offenheit dar (vgl. dazu Luhmann 1984, S. 656; Maturana, Varela 1987, S. 55). Wissen wird als kognitive Erwartung des Systems verstanden, welche durch Kommunikation ausgebildet wird. Gleichzeitig strukturieren die bereits ausgebildeten Erwartungen - respektive das bereits vorhandene Wissen - die zukünftigen Kommunikationen und damit die Handlungen. Aus dieser Sicht heraus, erhält Wissen nur über seine Funktion innerhalb des Systems an Bedeutung. Demnach kann Wissen nur im Zusammenhang mit dem System sinnvoll verwendet werden, da das Wissen anderer Systeme einer anderen funtionalen Logik unterliegt. Deshalb wird angenommen, dass wissenschaftliches Wissen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern ist. Aber auch umgekehrt kann Handeln innerhalb eines Systems wiederum Wissen hervorbringen. Unterstützend wirken dabei konkret erfahrene Ereignisse, welche mit dem Handeln verknüpft sind und gleichzeitig das erworbene Wissen anbinden (vgl. dazu exemplarisch von Cranach, Bangerter 2000, S. 229 f.).
Handlungstheoretische Ansätze zeichnen durch den weitgehenden Verzicht einer gesellschaftlichen Analyse, ein differenziertes Bild des menschlichen Handelns innerhalb der sozialen Interaktion nach. Dieser Ansatz legt seinen Fokus gleichzeitig auf die Ebene des Handelns und auf Interaktionssituationen von Akteuren.
Ausgegangen wird von einem Menschen als handelnder Organismus, welcher die Welt aus seiner Sicht interpretiert und entsprechend aktiv gestaltet. Zwischen Objekt und Handlung liegt die jeweilige Bedeutung, die der Handlung zugeschrieben wird. Die Bedeutung von Handlungen konstruiert sich über die Auseinandersetzung mit den anderen Interaktionsteilnehmern innerhalb der bereits existierenden Gesellschaft und deren Deutungsprozesse (vgl. exemplarisch Münch 2002, S. 260). Vor diesem Hintergrund lässt sich Handeln im Sinne von Können als sozial ausgehandelt verstehen, da es sich auf die Bewältigung der beruflichen Anforderungen richtet. Wissenschaftliches Wissen wird demnach in Abhängigkeit der bereits erfahrenen Interaktionsprozesse interpretiert und entsprechend in Handeln umgesetzt. Dieser Annahme folgend, ist wissenschaftliches Wissen nicht allein hinreichend für berufliches (professionelles) Handeln. Die Relevanz von Erfahrungen ist darin zu sehen, dass Erfahrungen Wissensbestände gewissermaßen anreichern und auf diese Weise eine notwendige Ergänzung zur Förderung pädagogischer und didaktischer Handlungskompetenzen darstellen (vgl. dazu Etzrodt 2003, S. 212; Kolbe 2004, S. 211).
Im folgenden Schaubild werden Ausgangspunkt, Annahme und die Bedeutung von Erfahrung der skizzierten Perspektiven zusammengefasst dargestellt:
|
Kognitionspsychologische Perspektive | Systemtheoretische Perspektive | Handlungstheoretische Perspektive |
Ausgangspunkt | Unterscheidung in wissenschaftliches Wissen und Handlungswissen | Systemspezifische Differenzierung von Wissen und Handeln durch Selbstreferenz | Unterscheidung in wissenschaftliches Wissen und sozial bedeutsames Wissen |
Annahme | Handlungsleitende Funktion von bewusstem und unbewusstem Wissen | Wissen steuert Handeln und Handeln bringt Wissen hervor | Bedeutung von Wissen wird sozial ausgehandelt und in Handeln umgesetzt |
Die Bedeutung von Erfahrung | Erfahrung als Grundlage für kompetentes Handeln | Erfahrene Ereignisse, die mit Wissen und Handeln verknüpft sind, wirken unterstützend auf kompetentes Handeln | Erfahrung reichert Wissen an und ergänzt kompetentes Handeln |
Schaubild : Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln, Quelle: eigene.
Zusammenfassend ergibt sich aus den dargelegten Perspektiven, dass in komplexen Lehr-Lern-Prozessen verschiedene Wissensformen von Bedeutung sind und deshalb bei der Gestaltung entsprechender Lernumgebungen zu berücksichtigen sind. Es lassen sich folgende Wissensformen herausstellen:
(Hochschul-) didaktischen Werkstattmodellen wird ein vielfältiges Potenzial für die Anregung und Begleitung erfahrungsorientierter Lernprozesse zugesprochen. Aufgrund ihrer Vernetzung mit außeruniversitären Institutionen stehen berufsfeldbezogene Problemstellungen im Mittelpunkt der Werkstattarbeit (vgl. Schubert 2003, S. 316).
Den Werkstatt-Konzeptionen für die Lehrerbildung ist die Annahme gemeinsam, dass Lehrerinnen und Lehrer selber komplexe Aufgaben und Lehr-Lern-Arrangements erfahren haben sollten, um diese für sich selbst und ihr (späteres) berufliches Handeln überprüfen und beurteilen zu können. Es geht darum, an der Universität einen zusätzlichen Raum anzubieten, in dem theoretische Grundlagen als Reflexionshintergrund mit Entscheidungs- und Beurteilungsprozessen des beruflichen Handlungsfeldes verknüpft und durch eigene Erfahrungen und die Auseinandersetzung innerhalb der Gemeinschaft des Ateliers reflektiert werden können (vgl. dazu Fischer, Horstkemper 2002, S. 5 f).
Für die (wirtschaftsberufliche) Lehrerbildung bietet es sich an, ein fachdidaktisch ausgerichtetes Atelier aufzubauen. In diesem ließen sich die Systematik der Fachwissenschaft mit pädagogischen, psychologischen und didaktischen Fragestellungen verknüpfen.
Als Konsequenz aus den bisherigen Überlegungen müsste ein "Atelier für angeleitete Erfahrung" folgendes Profil aufweisen:
Lernen in einer sozialen Umwelt von Lernenden und
Experten
Konzipiert werden praxisorientierte Lehr-Lern-Arrangements mit
komplexen Aufgaben, die gemeinsam und unter Anleitung von Experten
aus der Praxis bewältigt werden. Die Studierenden erhalten auf
diese Weise die Gelegenheit, innerhalb einer sozialen (Experten-)
Gemeinschaft zu lernen und gleichzeitig hinsichtlich ihrer eigenen
Erfahrungen angeleitet und unterstützt zu werden.
Lernen zwischen Konstruktion und Instruktion
Eingebunden in das Atelier ist ein simuliertes Unternehmen,
welches sich auf Konzepte und Erfahrungen von Schülerfirmen
bzw. Lernbüros der beruflichen Bildung bezieht. Weiter
knüpft das Atelier an das Lernfeldkonzept der beruflichen
Schulen an. Im Atelier können gemeinsam Lernsituationen
entwickelt, erprobt und reflektiert werden. Damit würde das
Atelier problemorientiert vorgehen und darüber hinaus eine
kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Lernfeldansatz
ermöglichen.
Lernen in komplexer werdenden Kontexten
Der Komplexitätsgrad der Lehr-Lern-Angebote wird stetig
gesteigert, in dem die Studierenden zunehmend mit offeneren
Problemstellungen und mehr Eigenverantwortlichkeit bei der
Bewältigung der Aufgaben konfrontiert werden. Die
verschiedenen Lösungsansätze werden gemeinsam verglichen
und die Studierenden können auf diese Weise mit verschiedenen
Sichtweisen vertraut gemacht werden. Angestrebt wird damit, ein
Denken in Alternativen anzuregen.
Außerdem könnten die Problemstellungen, die im Atelier bearbeitet werden, bei den Studierenden immer wieder neue Fragestellungen anstoßen und so Ausgangspunkt für eigene Forschungsvorhaben sein.
Lernen durch Metakognition
Das Atelier knüpft an das Schulpraktikum mit seiner
Schnittstellenfunktion zwischen Universität und Schule an. Mit
Blick auf das Schulpraktikum werden im Atelier praxisnahe
Handlungssituationen unter Anleitung bewältigt und gemeinsam
reflektiert. Hierfür könnte z.B. ein Portfolio als
Praktikumsbegleitung für die metakognitive Auseinandersetzung
mit dem eigenen Lernprozess entwickelt werden. Die Studierenden
erhalten die Möglichkeit, ihre eigenen Handlungen, ihre
Kommunikation und Interaktion sowie ihre subjektiven Erfahrungen im
Praktikum für sich selbst und im Austausch mit Anderen zu
reflektieren.
Das Ziel des "Atelier für angeleitete Erfahrung" besteht darin, bereits innerhalb der universitären Lehrerbildung einen Rahmen dafür zu schaffen, dass das Beziehungsgeflecht zwischen Wissen und Handeln erfahrbar und gleichzeitig über den Austausch mit Experten reflektierbar wird. Gleichzeitig sollen den Studierenden in einem solchen Atelier Freiräume für eigene Erfahrungen angeboten werden sowie die Gelegenheit, diese im Austausch mit Anderen zu diskutieren und zu interpretieren. Auf diese Weise bietet ein solches Atelier den Studierenden die Möglichkeit, über authentische Situationen und soziale Interaktionen in das berufliche Handlungsfeld von Lehrerinnen und Lehrern hineinzuwachsen.
Sicherlich ersetzen die dargestellten Möglichkeiten nicht die traditionellen universitären Lehrangebote. Vielmehr würde mit einem solchen Atelier ein zusätzlicher Raum geschaffen werden, indem konkrete praxisorientierte Erfahrungen abstrahiert und in theoretische Zusammenhänge eingebettet werden können.
Die bisherige Darstellung dürfte die Vielfältigkeit der Überlegungen hinsichtlich der Gestaltung eines universitären Atelier für die wirtschaftsberufliche Lehrerbildung deutlich gemacht haben und verweist auf eine sorgfältige Planung eines solchen komplexen Lehr-Lern-Arrangements.
Unabhängig davon, ergeben sich mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Lehrerbildung folgende weiterführende Fragen:
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