Konfliktanalyse: Der Kampf um das Dosenpfand

Alexander Ersfeld

Inhalt

1. Der Krach um die Dose
2. "Dosenpfand" als Gegenstand im Unterricht?
3. Konfliktanalyse
3.1 Konfrontation mit dem Konflikt
3.2 Planung des Vorgehens
3.3 Inhaltliche Analyse und Entwurf von Szenarien
3.4 Präsentation und Stellungnahme
4. Nachbemerkung
5. Literatur

Abbildungen:

M1 Dosenpfand Quelle: http://www.bmu.de
M2 Mehrweganteile in % vom Getränkeverbrauch BRD Quelle: http://www.upi-institut.de/dosenpfand.htm
M3 Das neue Einwegpfand Quelle: http://www.bundesregierung.de
M4 Mehrweganteile im % vom Getränkeverbrauch. Vergleich zu Bezugsjahr 1991. Quelle: http://www.upi-institut.de/dosenpfand.htm
M5 Artikel "Tanz um die Dose" aus "Die Zeit" Nr. 52/2002
M6 Auszüge aus der Verpackungsverordnung
M7 "Chronik der deutschen Verpackungsordnung" aus "Der Spiegel" Nr. 32 / 4.8.03

1. Der Krach um die Dose

Das Hauptaugenmerk der Deutschen im Jahr 2003 schien sich auf eine kleine Blechdose zu konzentrieren. Die Aufregung über die Auswirkungen der Verpackungsverordnung beschäftigte alle Medien und die ganze Gesellschaft. Seit Beginn des Jahres mussten die Deutschen für Einwegverpackungen bestimmter Getränke ein Pfand bezahlen - und hatten große Probleme, ihr Geld zurück zu bekommen.

Dabei sah es vor der Einführung des Pfandes noch recht gut aus. Nahezu 80 % der Deutschen befürworteten die Idee einer Pfanderhebung auf Einweggetränkeverpackungen. Diese positive Einstellung verkehrte sich jedoch in ihr Gegenteil, als die ersten Probleme mit der Umsetzung des "Dosenpfands" auftauchten. Die Rückgabe der mit Pfand belegten Flaschen und Dosen war nämlich nur mit beim Kauf ausgegebenen Bons oder Pfandmarken möglich. Außerdem musste das Leergut auch genau dort abgegeben werden, wo es zuvor gekauft worden war. Mit der Zeit sammelten sich Berge von nicht wieder einzulösendem Leergut in den Haushalten an. Millionenbeträge des nicht eingelösten Pfandes verblieben beim Einzelhandel. Wie konnte es zu diesem Chaos kommen? Hatten Handel und Getränkehersteller nicht genug Zeit, um sich auf die Umstellung vorzubereiten? Konnte man sich nicht an funktionierenden Systemen orientieren (wie z.B. Schweden)?

Der Streit um die Verpackungsverordnung hat eine lange Vorgeschichte (vgl. "Chronik der Verpackungsverordnung" und Adamski 2002). Der Ursprung der umstrittenen Verordnung liegt im Jahr 1988. Der damalige Umweltminister Töpfer reagierte auf die Einführung von Kunststoff-Wegwerfflaschen mit einer Verordnung, die deren Rücknahme und Pfandpflicht regelte. In der Folgezeit entstand aus dieser Verordnung ein umfassenderes Regelwerk, die Verpackungsverordnung und das "Duale System Deutschland". In diesem Zusammenhang wurde auch eine Regelung zum Schutz der Mehrwegflasche gefunden: sollte der Anteil der Mehrwegverpackungen unter den Wert von 1991 (72 %) sinken, käme es zu einer Pfandpflicht für Einwegverpackungen im jeweiligen Getränkesegment. Anfangs wirkte sich diese Regelung zugunsten des Mehrweganteils aus, er stieg sogar an. Erst im Jahr 1997 sank der Mehrweganteil knapp unter die Grenze von 72% und fiel in den folgenden Jahren regelmäßig weiter ab (2001: 64%). Damit hätte längst ein Pfand erhoben werden müssen. Der Pfandautomatismus wird aber laut Verpackungsverordnung erst ausgelöst, wenn eine Nacherhebung[/S.248:] bestätigt, dass die Mehrwegquote tatsächlich unterschritten wurde und dieses Ergebnis im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Genau dies versuchte die Einweglobby jedoch durch eine Prozessflut vor den Gerichten zu verhindern. Die Pfandgegner scheiterten allerdings vor Verwaltungsgerichten (Verwaltungsgericht Berlin vom 15. August 2001 - VG 10 A 708.00 und Oberverwaltungsgericht Berlin vom 20. Februar 2002 - OVG 2 S 6.01) und letztlich auch vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR 575/02 vom 24.6.2002) mangels vorheriger Rechtswegerschöpfung. So war dem Bundesverfassungsgericht nicht ersichtlich, was die Beschwerdeführer an der Beschreitung des normalen Verwaltungsgerichtswegs ab 1997 gehindert hat. Die Pfandgegner hatten nur in Eilverfahren versucht, die Pfandpflicht zu verhindern. (Adamski 2002, S.486 f.) Infolgedessen durfte die Regierung die Mehrwegquoten veröffentlichen, was am 02.07.2002 auch geschah und zur Folge hatte, dass sechs Monate später, also ab dem 01.01.2003 Pfand erhoben werden musste. Diese sechsmonatige Frist veranlasste die Pfandgegner jedoch nicht, eine einheitliche Umsetzung der Pfandpflicht vorzubereiten, vielmehr setzten sie auf die noch anhängigen Klagen gegen die Bundesländer und auf einen eventuellen Regierungswechsel zur Bundestagswahl im September 2002.

Frühere Versuche des grünen Umweltministers Jürgen Trittin, die Verpackungsverordnung zu novellieren und die Pfandpflicht zu vereinfachen, scheiterten im Juli 2001 im Bundesrat. Trittin wollte einerseits Tetrapacks als ökologisch vorteilhaft einstufen und damit von einer Bedrohung durch die Pfandpflicht befreien und andererseits Dosen und Einwegflaschen generell mit einem Pflichtpfand belegen.

Also galt weiterhin die alte CDU-Verordnung, die eine Pfandpflicht abhängig von der Art des Getränks macht. Es wird dabei unterschieden zwischen kohlensäurehaltigen und kohlensäurefreien Getränken, zwischen Säften und Limonaden, zwischen alkoholhaltigen Erfrischungsgetränken mit weniger oder mehr Alkohol… Eine Differenzierung und Verkomplizierung, die sich leicht hätte verhindern lassen.

Fraglich ist nun, wie sich auf Dauer die Pfanderhebung wirtschaftlich auswirken wird. Die von verschiedenen Seiten in Auftrag gegebenen Studien und Erhebungen zeigen sehr gegensätzliche Ergebnisse. Nach der vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Studie des Prognos-Instituts kommt es überwiegend zu negativen Auswirkungen: Für die deutsche Volkswirtschaft bringe das Dosenpfand 2003 und 2004 Umsatzeinbußen zwischen 578 Millionen und 1,2 Milliarden Euro. Dadurch gingen bis zu 9700 Arbeitsplätze hauptsächlich in der Verpackungsherstellungsindustrie verloren. Die ökologischen Effekte seien nur minimal (wobei nur die Emission von Treibhausgasen und nicht das Müllaufkommen beachtet wurde).

In einer anderen Erhebung vom August 2003 haben Befürworter auf positive Effekte verwiesen. Demnach hat das Dosenpfand im ersten Halbjahr 2003 bundesweit für 14 400 neue Arbeitsplätze gesorgt. Allein im Getränkefachgroßhandel seien 6300 Stellen seit Jahresbeginn entstanden. Die Getränkefachgroßhändler wiesen einer Umfrage zufolge im Schnitt zweistellige Umsatzzuwächse aus, da der Verkauf von Getränken in Mehrwegverpackungen hauptsächlich über diese Händler abgewickelt wird. Aber auch im Getränke-Einzelhandel, bei den mittelständischen Brauerei und den Mineralbrunnen habe es positive Effekte gegeben, hieß es nach einer internen Hochrechnung des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels e.V..

Der Streit um die Verpackungsverordnung ist ein auf den ersten Blick recht unübersichtlicher Konflikt mit vielen verschieden Interessengruppen und Zielsetzungen.[/S.249]

2. "Dosenpfand" als Gegenstand im Unterricht?

Die Auseinandersetzung um das Dosenpfand bietet eine Chance, Lernende in Prozesse politischen Agierens zu verwickeln. Der politische Unterricht ist nicht in der Lage, umfassende Kenntnis über politisches Agieren zu vermitteln, dies kann auch nicht Ziel sein. Vielmehr kann und soll "Orientierungswissen" vermittelt werden. (Giesecke 1997, S. 17) Dieses Wissen markiert laut Giesecke nichts Endgültiges, sondern ist Mittel und Handwerkszeug zum weiteren Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Einsichten. Angestrebt wird eine erste grundlegende Einsicht in Zusammenhänge unserer staatlich-gesellschaftlichen Verfassung und Struktur, die der Alltagserfahrung nicht unmittelbar zugänglich sind, sondern nur durch den Unterricht erklärt werden können. Diese Lehr- und Lernprozesse kann man als Lehrer von realen politischen Handlungen aus inszenieren, was jedoch einige Schwierigkeiten mit sich bringen kann. So handeln politische Akteure immer unter Berücksichtigung der zu erwartenden Reaktionen derer, denen sie ihr Mandat verdanken. Die damit verbundenen Gedanken und Prognosen erschließen sich jedoch für den außen stehenden Beobachter nur selten auf den ersten Blick. Weiterhin ist für soziales und politisches Handeln charakteristisch, dass es sich immer am Handeln anderer orientiert, also als wechselseitig verstanden werden muss. Das häufige Vorkommen von Kompromissen in der politischen Entscheidungsfindung macht es oft schwer, in den Resultaten dieser Prozesse die ursprünglichen Ambitionen und Handlungsabsichten der Agierenden wieder zu finden.

Eine didaktische Antwort auf diese Problematik bietet der konfliktorientierte Ansatz. Er geht davon aus, wie die Menschen sowieso über Politik denken, wie sie zu Urteilen kommen und wie von daher ihr Verhalten bestimmt wird. Die politische Bildung muss den Menschen also nicht beibringen, dass sie überhaupt politische Meinungen und Urteile äußern - die haben sie sowieso -, sondern dass sie ihre Meinungen bedenken und dann möglicherweise ändern oder präzisieren. Das kann nicht einfach durch die Konfrontation mit wissenschaftlichen Theorien geschehen. Es kommt vielmehr darauf an, das Ensemble der zu stellenden Fragen zu erweitern und die Bedeutung dieser Erweiterung für die eigene Urteilsfähigkeit zu erkennen. Die am politischen Handeln orientierte didaktische Konzeption beruht also primär auf Fragen und nicht auf einer vorgängigen sachlichen Systematik. Diese soll vielmehr erst durch die Suche nach Antworten erschlossen werden. Primär geht es also um ein methodisches Verfahren, das zum Ziele hat, von erkennbaren politischen Handlungen her auf deren Hintergründe vorzudringen, um mit der dadurch gewonnenen Erkenntnis diese Handlungen besser beurteilen zu können.

Ein solches Verfahren ist die von Giesecke entwickelte Konfliktanalyse, die mit entsprechend allgemeinen Fragen arbeitet, um politische Prozesse zu hinterfragen und zu analysieren. Diese Fragen beziehen sich auf Kategorien, die das Handwerkszeug für künftige Analysen abgeben. Giesecke nennt als Kategorien: Konflikt, Konkretheit, Macht, Recht, Interesse, Solidarität, Mitbestimmung, Funktionszusammenhang, Ideologie, Geschichtlichkeit und Menschenwürde (Giesecke, 1982/1992, S.330 f.).

Im Folgenden werden die Kategorien auf das Beispiel des Konflikts um die Einführung des umstrittenen "Dosenpfands" und die Verpackungsverordnung (VerpackV) angewendet.[/S.250:]

3. Konfliktanalyse

Der vorgeschlagene Unterrichtsverlauf kommt für den politischen Unterricht in der elften bis dreizehnten Klasse in Frage, da die Schüler selbst die zu nutzenden Kategorien auswählen und anwenden sollen.

Phase Arbeitsschritte Materialien
I. Konfrontation mit dem Konflikt Schüler werden mit dem Thema konfrontiert und beziehen Stellung zum Dosenpfand. M1: Grafik des Umweltministeriums
M2: Grafik Mehrweganteil gesamt
M3: Grafik Pfandpflicht
M4: Grafik Mehrweganteil/Getränke auf Folie
II. Planung des Vorgehens
  • Vorstellung und Auswahl der Kategorien
  • Formulierung der Leitfragen durch Schüler
  • Bildung der Arbeitsgruppen
evtl. Folie mit Liste der Kategorien
III. Inhaltliche Analyse & Entwurf von Szenarien
  • Analyse der Texte
  • Beantwortung der Fragen
M5: "Tanz um die Dose"
M6: Verpackungsverordnung (Ausz.)
M7: "Chronik der deutschen Verpackungsordnung"
  • Entwicklung von Szenarien in der Kategorie "Funktionszusammenhang"
IV. Präsentation und Stellungnahme Präsentation und Erläuterung der Ergebnisse & Szenarien ' Diskussion  
M1 - M4, , M7 stehen im Text oder Anhang,
M5 und M6 finden Sie im Didaktischen Koffer
http://www.zsl.uni-halle.de/didaktischer-koffer/

3.1 Konfrontation mit dem Konflikt

Um die Schüler mit dem Thema zu konfrontieren, bietet sich ein einführendes Gespräch zum "Dosenpfand" an. Dieses Thema betrifft die Schüler jeden Tag von neuem, sei es in der Freizeit, sei es am Schulkiosk in der Pause. Die Schüler sollen zu Beginn ihr eigenes Getränkekonsumverhalten bedenken. Materialien, die die Tendenzen bei der Nutzung der verschiedenen Getränkeverpackungen darstellen (z. B. die unten abgebildeten Grafiken M1 bis M4), können die Auseinandersetzung intensivieren. Weiterhin kann man die Schüler über ihre Position zum Dosenpfand mit einer Pro- und Contrafrage abstimmen lassen.

M1 Dosenpfand Quelle: http://www.bmu.de/files/dosenpfand.jpg

M2 Mehrweganteile in % vom Getränkeverbrauch BRD Quelle: http://www.upi-institut.de/dosenpfand.htm

M3 Das neue Einwegpfand Quelle: http://www.bundesregierung.de/Bild/original_471456/bild.jpg

M4 Mehrweganteile im % vom Getränkeverbrauch. Vergleich zu Bezugsjahr 1991. Quelle: http://www.upi-institut.de/dosenpfand.htm

3.2 Planung des Vorgehens

Vom Lehrer werden mögliche Kategorien einer Konfliktanalyse vorgestellt und erklärt. Im Unterrichtsgespräch werden die zu nutzenden Kategorien durch die Schüler ausgewählt und so die Schwerpunkte für die intensive Bearbeitung gesetzt. Die Schüler formulieren gemeinsam die aus den Kategorien resultierenden Fragen.

Die Schüler teilen sich in Gruppen und erhalten die folgenden Materialien:

3.3 Inhaltliche Analyse und Entwurf von Szenarien

Die gemeinsam mit den Schülern festgelegten Kategorien bzw. Fragen werden in Kleingruppen anhand des ausgeteilten Materials beantwortet. Die Ergebnisse werden als Wandzeitung oder Folie dargestellt, um die spätere Erläuterung durch Gruppenmitglieder visuell zu unterstützen.

Mögliche anhand der Kategorien gebildete Leitfragen und deren denkbare Antworten können sein:[/S.253:]

  1. Konflikt: Unter einem Konflikt ist ein Interessengegensatz und die daraus folgende Auseinandersetzung zwischen Individuen und/oder Gruppen zu verstehen. Die erste Leitfrage könnte also lauten: Wer streitet mit wem? Die Hauptparteien des Streits sind aus dem Zeitungsartikel zu entnehmen: die Bundesregierung (speziell Umweltminister Trittin und das von ihm geleitete Umweltministerium), die Regierungs- und die Oppositionsparteien im Bundestag, die Umweltverbände, der Verband des deutschen Einzelhandels, die Getränkegroßhändler, die kleinen Brauereien, die Großbrauereien, die Hersteller von Rücknahmeautomaten und die Hersteller von Einwegverpackungen.
  2. Konkretheit: Es geht darum, dass die Schüler einen Überblick über den Konflikt und seine politische Brisanz erlangen. Zu erforschen sind der Streitgegenstand bzw. konkrete politische Handlungssituationen. Also könnte man fragen: Worum wird konkret gestritten?
    Bei dem vorliegenden Konflikt geht es um die Umsetzung der Verpackungsverordnung von 1991, wonach die Erhebung von Pfand auf Getränkedosen und Einwegflaschen zur Pflicht wird, wenn die Mehrwegquote zwei Jahre in Folge unter den Stand (72%) von 1991 sinkt. Nachdem diese Quote zweimal unterschritten wurde, ist zum 01.01.2003 die Pfandpflicht eingetreten. Gestritten wird nun um die genaue Umsetzung der Pfandverpflichtungen.
  3. Interesse: Die Frage lautet, von welchen Wünschen oder Zielen die politische Handlungen der einzelnen Akteure bestimmt sind. Diese Motive sind für alle Konfliktparteien zu ermitteln und darzustellen.Die Bundesregierung und die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/ Die Grünen wollen mit der Durchsetzung der Verpackungsverordnung dauerhaft den Mehrweganteil stärken und damit lenkend auf die Menge des durch Einwegverpackungen entstehenden Mülls einwirken.
    Die CDU/CSU und FDP sind uneinheitlich in ihren Zielsetzungen. Unterstützte früher noch die CSU das Dosenpfand, um die kleinen Brauereien in Bayern zu fördern, die nahezu ausschließlich in Pfandflaschen produzierten und somit auf den regionalen Markt angewiesen waren, so sind die heutigen Äußerungen von Politikern dieser Parteien klar gegen das Pfand gerichtet. Die Umweltverbände zielen eindeutig auf die Verringerung des Anteils der ökologisch nachteiligen Dose am Gesamtverpackungsaufkommen ab. Der Verband des deutschen Einzelhandels sieht primär die großen Kosten, die durch die Anschaffung von Rücknahmeautomaten und die Lagerung von Altverpackungen entstehen. Die Getränkegroßhändler wollen einen höheren Mehrweganteil erreichen, da der Getränkeverkauf in Dosen an ihnen vorbei abgewickelt wird, sie somit nichts an diesem Anteil des Getränkeumsatzes verdienen können.
    Die kleinen Brauereien erhoffen sich vom Dosenpfand eine Verbesserung ihrer Marktchancen, wenn die Konkurrenzgetränke in Dosen durch den Aufschlag eines Pfandes relativ teurer sind.
    Im Gegensatz dazu wollen die Großbrauereien ein Pfand verhindern, da einerseits eine bundesweite Marktpräsenz erhalten werden soll, andererseits aber die höheren Transportkosten für Flaschen bei gleich bleibender Preisgestaltung die Gewinne schmälern.
    Die Hersteller von Rücknahmeautomaten erhoffen sich gute Umsätze durch den Verkauf ihrer Produkte, während die Hersteller von Einwegverpackungen große Umsatzeinbrüche auf Grund des geringeren Bedarfs an ihren Produkten befürchten.
  4. Macht: Die Kategorie der Macht sollte weit gefasst werden: als Inbegriff aller tatsächlichen Möglichkeiten, andere zu einem bestimmten gewünschten Verhalten zu veranlassen. Die daraus resultierende Leitfrage lässt sich beispielsweise formulieren als:[/S.254:] Wer hat welche Möglichkeiten, sich durchzusetzen? Für die verschiedenen Konfliktparteien gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf den Konflikt zu reagieren:
    Die Bundesregierung und Umweltminister Trittin könnten die Verpackungsverordnung verändern/ergänzen bzw. einen neuen Verordnungsentwurf vorlegen, um die Pfandpflicht einheitlicher zu gestalten und eine Durchsetzung des Pflichtpfandes vereinfachen.
    Die CDU- und FDP-Opposition im Bundestag kann auf Grund der Mehrheit im Bundesrat gegen einen solchen Verordnungsentwurf stimmen und somit eine Neuregelung verhindern.
    Die Umweltverbände haben die Möglichkeiten, das Verhalten des Einzelhandels zu beobachten und damit den Handel unter Druck zu setzen, die Pfandpflicht zu erfüllen. So haben beispielsweise Vertreter der Deutschen Umwelthilfe nach Boykottankündigungen des Handels angedroht, Testkäufe in ca. 4000 Geschäften durchzuführen und bei Aufdeckung von Verstößen gegen die Pfandpflicht Anzeige zu erstatten. Den Geschäften drohen dadurch Bußgelder in Höhe von bis zu 250000 Euro. Der Verband des deutschen Einzelhandels hatte die Möglichkeit, gegen die Verpackungsverordnung juristisch vorzugehen, ist damit aber gescheitert. Weiterhin kann er seinen Mitgliedern empfehlen, Einweggetränke "auszulisten" um somit den Aufwand für die Rücknahme zu vermeiden.
    Den anderen Konfliktbeteiligten bleibt nur der Versuch, juristisch gegen das Pflichtpfand vorzugehen. Die Getränkegroßhändler, die kleinen Brauereien, die Hersteller von Rücknahmeautomaten und die Hersteller von Einwegverpackungen haben als einzelne direkt keine nennenswerten Möglichkeiten, auf die Entscheidungen Einfluss zu nehmen.
  5. Recht: Eng verknüpft mit der Machtfrage ist die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen, also wie das Pflichtpfand konkret geregelt ist. Die Schüler können die Einzelheiten der Verpflichtungen für Handel und Hersteller den Auszügen aus der Verpackungsverordnung (M6) entnehmen.
  6. Solidarität: Jede politisch-gesellschaftliche Aktion nutzt bestimmten Gruppen und benachteiligt gleichzeitig andere. Nachdem die Handlungsmotive erkannt worden sind, ist im Rahmen der Kategorie Solidarität zu untersuchen, ob es Gemeinsamkeiten bei Motivation und Handlung einzelner Konfliktparteien gibt, welche diese zu "Verbündeten" macht. Die sich daraus ergebende Frage könnte lauten: Wer unterstützt wen? Die Bundesregierung wird unterstützt von den Umweltverbänden, den Getränkegroßhändlern, den kleinen Brauereien und den Herstellern von Rücknahmetechniken. Die Opposition wird dagegen vom Einzelhandel, den Großbrauereien und den Produzenten der Einwegverpackungen unterstützt.
  7. Mitbestimmung: Diese Kategorie dient der Ermittlung der konkret vorliegenden Möglichkeiten der Beteiligung am Entscheidungsprozess für die einzelnen Konfliktparteien. Zu fragen ist folglich: Wer kann wie mitmachen im Entscheidungsprozess? Direkte Einflussmöglichkeiten im Entscheidungsprozess gibt es nur für die Regierung und die Oppositionsparteien über die Gesetzgebung bzw. deren Verhinderung. Alle anderen können auf die öffentliche politische Meinung und damit auch auf den politischen Entscheidungsprozess einwirken.
  8. Ideologie: Diese Kategorie beinhaltet den Umstand, dass jedes politische Handeln mit einer Motivation unterlegt ist und nach außen begründet werden muss. Oft kommt es hier aber zu Differenzen zwischen Motivation und geäußerter Begründung. Eine Begründung ist jedoch nötig, da Menschen für die getroffenen Entscheidungen gewonnen werden müssen. Die Leitfrage kann also heißen: Welche wirklichen Interessen und Werte werden mit welchen Gesamtinteressen behauptet? Zu unterscheiden ist hier zwischen den politischen Akteuren und den sonstigen Beteiligten. Bei der Regierung und auch bei der Opposition spielen wohl wie bei jeder politischen Entscheidung auch Wahlkampfüberlegungen eine große Rolle, wobei beide von verschiedenen Prämissen ausgehen. Viele Umfragen haben ergeben, dass die Bevölkerung zum überwiegenden Teil grundsätzlich für das Dosenpfand ist. Andererseits ist die Aufregung über die Kompliziertheit des Systems groß. Riesige Mengen von Dosen werden, begründet durch die Mängel der Rücknahmesysteme, nach wie vor weggeworfen, Millionenbeträge versickern angeblich beim Einzelhandel. Offensichtlich ist, dass die rot-grüne Regierung dabei mehr Wert auf das "Ob" des Dosenpfandes legt, während die Opposition sich auf die Mängel des "Wie" konzentriert. Beide hoffen natürlich, dass die von ihnen gewählte Prämisse langfristig größere Bedeutung für die Stimmung in der Bevölkerung hat und sich somit auch bei zukünftigen Wahlen auswirkt. Bei den sonstigen Beteiligten sind solche "versteckten" Interessen kaum zu vermuten, da sie ihre Motive und wirtschaftlichen Bestrebungen klar äußern. Diese Kategorie ist für die Analyse also nicht sehr ergiebig.
  9. Historie: Gefragt wird, wie und ob sich die Geschichte des Konflikts auswirkt. Die Schüler sollen erkennen, ob die verschiedenen Positionen der Konfliktparteien auf Grund der Historie schon verhärtet sind oder ob Bewegung in der Sache möglich ist. Zu fragen ist:
    Ist die Geschichte des Konflikts von Bedeutung? Die kurze Historie der Verpackungsverordnung (M7) zeigt, dass die heutigen politischen Feinde der Verpackungsverordnung diese selbst politisch zu verantworten haben, schließlich ist diese Verordnung vom damaligen CDU-Umweltminister Töpfer zu verantworten. In der Amtszeit von Angela Merkel als Umweltministerin wurde die Verordnung sogar noch weiter verkompliziert. Merkels Idee war, dass man nur für solche Getränke Pfand bezahlen sollte, die ihre eigene Quote von 1991 unterschritten hatten. Genau diese Veränderung war es, die das heutige Chaos mit Unterscheidung nach Kohlensäureanteilen, Alkoholanteilen, etc. verursacht hat. Schüler können hier an der geschichtlichen Betrachtung ersehen, wie wandelbar politische Zielsetzungen und Konzepte sein können.
  10. Menschenwürde: Politische Entscheidungen wirken sich immer auf Menschen aus.
    Wie tief diese Wirkung geht, ist anhand dieser Frage zu klären: Ist jemandes Menschenwürde im Konflikt betroffen? Dies ist für den "Dosenpfandkonflikt" relativ einfach zu verneinen, da es in erster Linie um wirtschaftliche Interessen geht.
  11. Funktionszusammenhang: Diese Kategorie wird in die nächste Unterrichtsphase überleiten. Im Rahmen der Kategorie "Funktionszusammenhang" ist die Phantasie der Schüler gefragt. Sie sollen erkennen, welche Folgen politisches Handeln in eine der alternativen Richtungen haben kann. In dieser Kategorie kommt sachlich wie ethisch das Ganze des politischen Zusammenlebens in den Blick. Zu fragen ist, bei welcher Art von Entscheidungen in diesem Konflikt welche Folgen für das gesamte Zusammenleben zu erwarten sind. Hier können die Schüler (wieder in Gruppenarbeit) Szenarien entwickeln, wie sich mögliche Handlungsalternativen, beispielsweise eine Wiederabschaffung des Pfandes, ein Verbot von Einwegverpackungen, eine Beibehaltung der gegenwärtigen Situation oder auch die generelle Abschaffung von Mehrwegverpackungen für das Zusammenleben auswirken könnten. Die Schüler erhalten die Aufgabe, die Szenarien gesondert in graphischer Form (z.B. Wandzeitungen) darzustellen.[/S.256:]

3.4 Präsentation und Stellungnahme

Die Ergebnisse der Gruppenarbeit, Analysen und Szenarien werden durch Aushänge dargestellt, von einzelnen Schülern erläutert und dann diskutiert.

Rückblickend auf die erste Abstimmung können die Schüler Stellung zu den Positionen im Konflikt beziehen. Sollten Schüler ihre Meinung bezüglich des Dosenpfands geändert haben, können die Gründe dafür gemeinsam geklärt werden. Am Ende sollten die Schüler den Konflikt beurteilen und werten können.

4. Nachbemerkung

Die Konfliktanalyse mit Kategorien ist ein produktives Instrument. Durch die Beantwortung der Leitfragen erlernen die Schüler das Analysieren und Kategorisieren von Konflikten.

Allerdings müssen nicht immer alle elf Kategorien betrachtet werden, um einen Lerneffekt zu erreichen. Man kann in diesem Beispiel die Kategorien Recht, Macht und Mitbestimmung zusammenfassen, da sich hier Überschneidungen ergeben werden.

Auch könnte man die Kategorie "Interesse" mit der Kategorie "Ideologie" kombinieren, da dort die Interessensfragen der jeweiligen Gruppen aufgegriffen und gegenübergestellt werden.

Die Entwicklung zusätzlicher eigener "interessensnaher" Kategorien durch die Schüler kann durchaus sinnvoll sein.

Die Kategorie mit dem größten Lernpotential im Konflikt um das Dosenpfand ist die Kategorie "Funktionszusammenhang". Hier werden die Ergebnisse politischer Handlungen auf mehreren Ebenen untersucht, die Schüler lernen, die Folgen und auch "Nebenwirkungen" alternativer Handlungsvorschläge zu prognostizieren. Deshalb leitet diese Kategorie eine gesonderte Teilphase im Unterricht ein (Entwurf von Szenarien).

Die Vorbereitung der Analyse mit Hilfe des Materials und eventuell mittels Internetrecherche könnte als Hausaufgabe erfolgen. Die Gruppen können auch mit verschiedenen Zielrichtungen recherchieren, wobei die selbständige Informationssuche geübt wird.

Da das "Dosenpfand" die Schüler täglich betrifft, dürfte diese Thematik die selbständige Arbeit motivieren. Die Ergebnisse der Konfliktanalyse können diese Methode und ihre Kategorien als fruchtbar und transferierbar erweisen.

5. Literatur

Adamski, Heiner (2002): Dosenpfand und Kreislaufwirtschaft. In: Gesellschaft-Wirtschaft-Politik (GWP) 4/2002, S. 479-489.

Giesecke, Hermann (1997): Kleine Didaktik des politischen Unterrichts. Schwalbach/Ts.: Wochenschau.

Giesecke, Hermann (1992): Didaktik der politischen Bildung (1972/1982). In: Breit, Gotthard; Massing, Peter. Hg. Grundfragen und Praxisprobleme der politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 318 - 338

 

Aktuelle Entwicklungen und Zusammenfassungen unter:
Arbeitsgemeinschaft Verpackung + Umwelt e.V.: http://www.agvu.de/
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: http://www.pfandpflicht.info/; http://www.pflichtpfand.info/ und http://www.bmu.de
Umwelt- und Prognose-Institut e.V.: http://www.upi-institut.de/dosenpfand.htm
Pro Mehrweg e.V.: http://www.promehrweg.de/

Dieser Text ist unter gleichem Titel erschienen in: Gesellschaft - Wirtschaft - Politik, Heft 2/2004, S. 247-258.
© 2004 Alexander Ersfeld, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
sowi-online dankt dem Verlag Barbara Budrich, Opladen und dem Verfasser für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung des Textes im Internet.
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